Ein
poetisches Konzept der deutschen Romantik war das Schreiben im
Kollektiv. Friedrich Schlegel formulierte in einem seiner
Athenäums-Fragmente das Ideal einer „Sympoesie“, bei der „es
nichts Seltnes mehr wäre, wenn mehrere sich gegenseitig ergänzende
Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten“. Und Novalis sah in den
Journalen „eigentlich schon“ das Vorbild für „gemeinschaftliche
Bücher“. Das berühmteste Unternehmen in kollektiver Autorschaft
sind Die Versuche und Hindernisse Karls (1808), auch als
Doppelroman der Berliner Romantik bekannt, an dem sich Karl August
Varnhagen von Ense, Wilhelm Neumann, August Ferdinand Bernhardi und
Friedrich de la Motte Fouqué beteiligten, die alternierend ihre
Kapitel zu dem Projekt beisteuerten.
Bereits
ein Jahr zuvor erschien im Umkreis der Heidelberger Romantiker eine Doppel- oder Kollektivnovelle als Gemeinschaftswerk von Clemens
Brentano und Joseph Görres, das aber eher aus einer Laune heraus
entstanden ist. Inspiriert durch eine Zeitungsnachricht konzipierten
die beiden Autoren zunächst eine scherzhafte Konzertannoce, die sich
unter der Hand aber zu einer arabesken Geschichte ausweitete, weshalb
diese schließlich unter dem Titel „Die über die Ufer der
Badischen Wochenschrift als Beilage ausgetretene Konzert-Anzeige“
als separates Bändchen bei Mohr & Zimmer publiziert wurde –
wie damals üblich: anonym. Die Verfasser versteckten ihre
Autorschaft indes im Namen ihres Helden BOGS, der sich aus den ersten
und letzten Buchstaben ihrer Nachnamen zusammensetzt:
BrentanO/GörreS.
Der
Inhalt dieser kleinen Groteske ist rasch erzählt: Der Uhrmacher BOGS will sich bei einer Schützengesellschaft bewerben und muss zu diesem
Zweck ein „Selbstbekenntniß
über [seinen] Karakter und [seine] Grundsätze“ ablegen, damit die
Gesellschaft auf dieser Basis beurteilen kann, ob er einer Aufnahme
würdig sei. Aus dem Bekenntnis geht aber hervor, dass der Uhrmacher
eine irrational starke Inklination zur Musik besitzt, eine
„wahrscheinlich physische Schwäche eines sehr reizbaren etwas zum
Trunke geneigten Ohrs“. Die ganz auf bürgerlich-konservative Werte
bedachte Schützengesellschaft stellt ihn deshalb auf die Probe: Wenn
BOGS einem Konzert beiwohnen könne, ohne davon übermäßig hingerissen zu werden, dann wolle sie ein Auge zudrücken und den
musisch-empfindlichen Kandidaten in ihren Kreis aufnehmen.
In
Kenntnis seiner unkontrollierbaren Leidenschaft willigt BOGS nur
zögernd in das Experiment ein: „Anfangs wollte ich mein Herz und
meinen Kopf zu Hause lassen, aber zuletzt mußte
ich doch ersters der Courage und letzteren des Hutes wegen
mitnehmen.“ Wie befürchtet gerät das Probekonzert zum Fiasko:
BOGS lässt sich von der Darbietung nicht nur hinreißen, er beginnt
richtiggehend zu derilieren. Er verliert das Bewusstsein, verstrickt
sich in Phantasmagorien, sieht bizarre Traumwelten vor seinen inneren
Augen vorbeiziehen, und kann sich zwischen den Stücken nur
notdürftig an die Uhren klammern, die er als dingfeste Stützen
mitgenommen hat, ihm den nötigen Wirklichkeitsrückhalt zu sichern.
Die
Bilanz fällt entsprechend kläglich aus: Die Schützengesellschaft
verweigert BOGS nicht bloß die Aufnahme, sie zweifelt nachhaltig an
seinem Verstand, weshalb der Uhrmacher angeleitet durch Doktor Sphex
– der schon in Jean Pauls Titanroman herumgeisterte – einer
medizinischen Untersuchung unterzogen wird, die eine anatomische
Absonderlichkeit zu Tage fördert: BOGS besitzt einen Januskopf. Auf
der Hinterseite, versteckt unter dem Haar, verbirgt sich ein zweites
Konterfei, welches als Antipode des armen Uhrmachers für die
Schattenseite seiner Vernunft verantwortlich ist, findet sich doch im
„Höhlenwerk seines Kopfes“ alle Phantasmagorien wieder, die BOGS
während der Konzertvorführung heimgesucht haben, hier aber unter
der Schädeldecke fröhliche Urständ feiern.
Als
wäre dieser Befund – eine Art Vorfläufermotiv von Dr. Jekyll und
Mr. Hyde – nicht schon phantastisch genug, beschließt Doktor Sphex
in die seltsam bevölkerte Kopfhöhle hinabzusteigen, „um sich
durch den unmittelbaren Augenschein über den eigentlichen Bestand
der Sache Auskunft zu verschaffen“. Durch den fremden Eindringling
wacht das zuvor eingeschläferte Janusgesicht aber auf und gerät
dabei so stark in Rage, dass er mit dem Uhrmacher im Raum
herumwirbelt, bis „endlich die Verbundenen durch die
Centrifugalkraft des Schwunges von einander ließen“.
So kann der Uhrmacher mehr zufällig als durch medizinisches Geschick
von seinem Parasiten befreit und endlich „als stiller, gesetzter,
sedater Mensch“ in die hochlöbliche Jagdgesellschaft aufgenommen
werden.
Soweit
die groteske äußere Handlung der Erzählung, die sich rasch als
romantische Allegorie entpuppt. Zunächst kann das Janusgeschöpf
BOGS, abgesehen davon, dass die Romantik eine Vorliebe für
Doppelgänger- und Zwillingsmotive hatte, als Figuration der
doppelten Autorschaft von Brentano und Görres selbst angesehen
werden. Mehr noch aber lässt sich der Exorzismus, den BOGS über
sich ergehen lassen muss, als Konflikt zwischen romantischer und
bürgerlicher Weltanschauung lesen. Die nüchterne Seite von BOGS
entspricht der bürgerlichen Tugend, während das rückseitige
Janusgesicht die Schattenseite der Romantik verkörpert. Die
Profession des Uhrmachers ist gewissermaßen auch der Inbegriff des
Pedantischen und Philiströsen, das den Romantiker ein Dorn im Auge
war, weshalb es in der Erzählung nicht zufällig heißt, die „Prediger aus
der neuen romantischen Klique“ hätten „gegen die klassischen
Uhrmacher einen Bund geschlossen“.
Die
Pointe der Erzählung verläuft indes in umgekehrter Richtung, wenn
es darum geht, den Uhrmacher von seinen romantischen Anleihen zu
befreien. Ganz zu Beginn, in einer überlangen Annonce der
Jagdgesellschaft, die ebenfalls die gutbürgerliche Tradition
vertreten und die Verbannung des romantischen Gedankenguts
propagieren, werden die Romantiker als „Zifferfeinde und
Ungeziefer“ bezeichnet. Kein Wunder setzen solche Zifferfeinde just
einem Uhrmacher, der sich ex professio mit Ziffern und
Ziffernblättern befasst, besonders hart zu, weshalb es letztlich gilt,
dieses romantische Ungeziefer, das leibhaftig seinen Kopf befallen hat, zu
entfernen. Ironischerweise steuert gerade im Teil, welcher die
Austreibung der Romantik aus dem BOGS'schen Schädel schildert, das
Phantastische und Irreale der Erzählung auf eine radikale Klimax zu, dass letztlich doch, wenn nicht auf der Handlungsebene, so doch poetologisch die romantische Ästhetik den Sieg davon trägt.