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Samstag, 3. August 2024

Bret Easton Ellis: American Psycho (1991)

Und nun nach all den leichtfüssigen, um nicht zu sagen schwachbrüstigen, Ferienlektüren zum mit Abstand besten Buch, das sich das Lesefrüchtchen in dieser Zeit vorgeknöpft hat, weil das Buch viel riskiert und nur gewinnt: American Psycho von Bret Easton Ellis, mittlerweile natürlich fast schon ein zeitgenössischer Klassiker. Das Lesefrüchtchen hat bislang aber weder das Buch gelesen noch die Verfilmung gesehen. In zweierlei Hinsicht ist der Roman total radikal: Einerseits im Warenfetischismus, der pausenlos betrieben wird, andererseits in den explizit geschilderten Gewaltausbrüchen.

Etwa die Hälfte des Buches besteht ausschliesslich in der abundanten Aufzählung von Kleider- und Markennamen. Jede auftretende Figur wird detailliert mit ihren Kleidungsstil mit allen Labels, Stoffen und Accessoires beschrieben - und das wird auch bis zum Ende des Romans knallhart ad nauseam durchgezogen. Und geschätzt auf jeder zweiten Seite taucht wieder eine Hardbody-Kellnerin auf. Darin zeigt sich die Oberflächlichkeit der mondänen Scheinwelt, in der sich die Yuppies bewegen, die lediglich aus Status, Geld, teuren Klamotten und einem durchtrainierten Körper besteht, hinter der sich dann aber die wahren Abgründe auftun. Diese Beschreibungswut erinnert in ihrer Exzessivität an die enzyklopädischen Aufzählungen von Parfüms und Düften, Stoffen und Farben in Huysmans Décadence-Roman A rebours. Stand dort mit Des Esseintes ein überreizter, gefühlskalter Dandy im Zentrum, haben wir es hier mit einem hochnarzisstischen Snob zu tun.

Patrick 'Pat' Bateman, ein Wall Street Banker, aus dessen Perspektive simultan alles geschildert wird, fokussiert sich manisch auf alle äusserlichen Etiketten und versucht sich in seiner Peergroup zu behaupten. Er will, wie er freimütig bekennt, einfach auch dazugehören. Nicht immer erfolgreich, wie einige satirische Episoden demonstrieren: etwa beim Visitenkarten-Vergleich oder beim vergeblichen Versuch um angesagten Szenerestaurant Dorsia einen Tisch zu reservieren. Die Schmach, vom Dorsia abgelehnt zu werden, während andere, wie sein Bruder dort fast Hausrecht geniessen, zieht sich als running gag durch den gesamten Roman. Besonders amüsant dort, wo Bateman seine Sekretärin pseudogenerös zum Essen auffordert und ihr die Wahl des Lokals überlässt. Natürlich nennt sie just das Dorsia und Bateman versucht dann verzweifelt, doch vergeblich einen Tisch zu ergattern, nachdem er sich unter falschem Namen einschmuggeln wollte. Vielleicht ist es diese subtile gesellschaftliche Zurückweisung oder bloss der Ennui einer sinnleeren Designexistenz, die Bateman dazu bringt, grausame Morde in Serie zu verüben. Bettler, denen ohnehin seine Verachtung gibt, schlachtet er ebenso ab, wie ihm verhasste Schwuchteln, bevorzugt aber hübsche junge Frauen und Prostituierte, an denen er vorher noch seine sexuellen Perversionen auslebt.

Hier zeigt sich die andere Radikalität des Romans: Was hier an gewaltpornographischen Phantasien ausgebreitet wird, übersteigt sogar das kranke Gehirn eines Marquis de Sade. Kulminationspunkt ist sicher der Fellatio mit einem abgetrennten Kopf, den Bateman an seinem erigierten Penis durch den Raum trägt. Das sind Bilder, die nicht mehr aus dem Kopf gehen, so gerne man sie auch verbannen würde. Sie setzen aber den notwendigen Kontrapunkt zu den Perversionen und den nicht minder kranken Exzessen der Yuppie-Gesellschaft. In einem Moment der Selbsterkenntnis fasst es Bateman so zusammen: Alles, was er gelernt habe, alle Prinzipien, alle Moral, Bildung etc. habe sich als falsch erwiesen. Worauf alles hinausläuft sei lediglich: friss oder stirbt. Und Bateman nimmt diese Redewendung wortwörtlich, wenn er beginnt, seine Opfer nicht nur zu malträtieren, sondern auch zu verspeisen. Bateman erkennt auch unumwunden seine "Entmenschlichung" an, er versucht sich weder zu rechtfertigen noch empfindet er Reue. Vielmehr ist er der Überzeugung, dass er der Wirklichkeit nur den Spiegel vorhalte: auf übertriebene Weise das Friss und Stirb des Alltags lediglich imitiere. In einer grandiosen Szene wird diese Erkenntnis ad absurdum getrieben. Bateman, der Live-Konzerte verabscheut, wird an ein Konzert der irischen Band U2 geschleppt, wo er eine Art Epiphanie erlebt. Plötzlich schwinden alle Umweltsinne und Bateman sieht Bono von der Bühne auf ihn zukommen und ihm zuflüstern: Ich bin wie du, auch ich bin der Teufel ... Ausgerechnet der selbsternannte Gutmensch Bono verbrüdert sich mit dem Serienkiller. Was für eine brillante, ja maliziöse Pointe! Eine weitere, aus heutiger Sicht nachgerade beängstigende Pointe besteht darin, dass Bateman ein grosser Fan von Donald Trump ist.

Der Roman lässt offen, ob Bateman alle Greueltaten tatsächlich begeht oder ob sich alles nur in seiner Phantasie abspielt, ob es sich um Rachephantasien an einer Gesellschaft handelt, der er zwar gerne angehören möchte, die ihn zugleich aber auch abstösst. In einer signifikanten Stelle des Romans stellt sich Bateman vor, wie er durch den Riss in der Wand einer Toilette verschwinden würde und niemand würde davon Kenntnis nehmen. Der Protagonist leidet unter mangelnder Aufmerksamkeit, die er sich auch durch seine Morde, ob nur behauptet oder tatsächlich verübt, nicht erringen kann. Mehrfach betont er in Gesprächen mit seiner Freundin und seinen Kollegen die Gewalttaten gibt sich sogar als Mörder zu erkennen, doch niemand nimmt ihn ernst. Die Meisten hören gar nicht zu, sondern ignorieren ihn einfach und sprechen über ihre Heirats- oder Ferienpläne. So liest sich der Roman, der in Echtzeit aus der Ich-Perspektive geschrieben ist, was diegetisch eine Unmöglichkeit darstellt, technisch aber überzeugend gut funktioniert, wie ein ausgedehnten Geständnis oder wie eine ungeheure Provokation, um wenigsten von der Leserschaft die Aufmerksamkeit zu bekommen, die ihm im gesellschaftlich verwehrt wird.

In den Roman eingestreut sind auch drei scheinbar unmotivierte Kapitel mit Plattenbesprechungen von Genesis, Withney Houston und noch eine Gruppe, die ich jetzt vergessen habe. Bateman, der eine grosse CD-Sammlung besitzt - CDs waren in den 1980ern der letzte Schrei, weshalb ein Yuppie selbstverständlich auf dieses Medium setzte (heute wäre das anders) - erweist sich darin als feinfühliger und verständiger Liebhaber von Musik. Sie stehen im Kontrast zur ansonsten demonstrativen Orientierung an Oberflächlichkeiten. In solchen Passagen entfaltet sich die wahre Grösse des Romans, der eben nicht nur mit Schockmomenten arbeitet, das wäre zu billig, sondern auch genügend Irritationsmomente einstreut und somit eine Ambivalenz schafft, die mehr zur Auslotung psychischer Untiefen beiträgt, als ein moralisch übergestülptes Schwarz-Weiss-Schema.

Freitag, 28. April 2017

H.P. Lovecraft: Cthullhu. Geistergeschichten (1972)

Das Lesefrüchtchen hat sich endlich ein Herz gefasst und alle Lektüren beiseite geschoben, um sich endlich dem Stapel der vergessenen Leckerbissen zu nähern. Aus Laune griff es zunächst zu H.P. Lovecraft, nicht zuletzt auch, weil die Übersetzung aus der Feder von H.C. Artmann stammt. Artmann, dieser grandiose Avantgarde-Autor und Liebhaber von Trivialgenres, hat Lovecraft für den deutschsprachigen Raum entdeckt, als er noch in niemandes Munde war. Heute gilt Lovecraft hingegen als Ikone der gehobenen Horror-Story und ist auch unter E-Literaten längst salonfähig geworden. Jedenfalls muss man sich in ihren Kreisen nicht schämen, wenn man Lovecraft liest – was eigentlich eher gegen als für den Autor spricht. Aber letztlich kann er für die intellektuelle Vereinnahmung nichts.

Lovecraft ist in erster Linie ein brillanter Techniker. Er schöpft aus dem Vollen, was die bizarren Abgründe der menschlichen Phantasie angeht. Seine Erzählungen sind weniger Orgien des Horrors als der Einbildungskraft. Er ist ein unermüdlicher Erfinder phantastischer und grauenerregender Szenarien, die er mit einer ungeheuerlichen Akribie und schier unermüdlichen Darstellungs schildert. Dabei sind die meisten Erzählungen gar nicht auf eine Wirkungsästhetik hin komponiert. Jedenfalls packt einem der beschriebenen Schauer selten. Das heißt: Die Geschichten sind, was sicher an ihrer analytischen Ausrichtung liegt, nicht per se schrecklich, sie beschreiben lediglich den Schrecken in all seinen perversen Abarten. Wenn Giorgio Manganelli im Vorwort Lovcraft als „Pornographen des Grauens“ betitelt, liegt er genau richtig. Wie de Sade in endlosen Variationen seine tableaus aneinanderreiht, so wiederholt auch Lovecraft seine Schilderungen des Schreckens bis zur Ekstase - oder Ermüdung.

Die Kurzgeschichten sind praktisch alle nach demselben Schema aufgebaut: Durch eine pseudodokumentarische Erzählweise wird eine authentische Nähe zu den geschilderten Ereignissen geschaffen, durch einen scheinbar kritischen Erzähler deren Glaubwürdigketi anfangs jedoch relativiert, obwohl von Anfang immer klar ist (was den Geschichten mitunter die Spannung nimmt): Wie unglaublich die Befürchtungen und Ahnungen auch anmuten, genau so (oder noch schlimmer) wird es am Ende auch eintreffen. Sodann wird der Erzähler nicht müde, das Entsetzen in allen nur erdenklichen Schattierungen auszumalen. Dann läuft er zur Höchstform auf. Für Lovecraft selber gilt deshalb, was er über den Maler Pickman in der ersten Erzählung des Bandes schreibt: „er schilderte mit eiskalter Überlegung eine wohlfundierte Welt des Horrors“ und ist mit dieser Methode ein „durch und durch genauer, ja fast wissenschaftlich vorgehender Realist.“ Hier zeigt sich die wahre Kreativität von Lovecraft: Seine Erzählungen sind veritable Vokabularien des Grauens, und machen sie wohl für Artmann als Übersetzer besonders interessant.

Doch offenbar erwies sich auch das Übersetzen des Horros als Grenzerfahrung. Zumindest waren die Wortfindungen so ausgesucht, dass sich nicht alle verlustfrei ins Deutsche übersetzen ließen. Das Adjektiv „ghoulish“ (engl. für gräulich, makaber) zumindest, das an mehreren Stellen auftaucht, muss Artmann trotz lexikalischer Hilfe unbekannt gewesen sein, verdeutsche er es doch schlicht – und irgendwie auch kongenial – in „ghoulisch“ (das auch in flektierter Form wie etwa in „das ghoulische Schweigen“ vorkommt) und schuf damit ein hapax legomena, das seither als Synonym für die teuflische, böse Seite der Menschheit weiterverwendet oder gar als diabolische Sprache angesehen wird. Ein produktives Missverständnis also, welches das Grauen in Form eines rätselhaften Worts in die deutsche Sprache importiert. Nichts ist unheimlicher, als was sich dem primären Verständnis entzieht.

Und genau nach diesem Prinzip funktionieren die Erzählungen von Lovecraft: Sie beschreiben jenen Moment, in dem das Irrationale in die Welt einbricht, wo sich der Schrecken in Form des absolut Unbegreiflichen, des Unausdenkbaren manifestiert, dass die Betroffenen vor Schreck entweder den Verstand verlieren, in irrsiniges Gelächter ausbrechen oder mit gebrochenen Blick dahinscheiden. Oft sind es grausige, absolut unhmane, gallert- und schleimartige Wesen aus den Urtiefen des Meeres, der Vergangenheit oder des Alls, welche schon lange vor der Menschheit existierten und nur darauf warten, diese wieder auszulöschen. Wie zum Beispiel der grosse Cthullhu, der zu Lovecrafts Privatmythologie gehört und auch in anderen Erzählungen wieder auftaucht, wie auch das berühmte gewordene Buch Necronomicon des wahnsinnigen Arabers Abdul Alhazred, das alle Zauberformeln enthält, um die bösartigen Kräfte zu erwecken.

Darin liegt wohl auch die anhaltende Faszination am Autor: dass er den Horror in der Buchkultur verankert und ihm dadurch als schriftlich tradiertes Erbe eine vermeintliche Genealogie verschafft. Lovecraft schreibt nicht einfach "Geistergeschichten", wie der Erzählband etwas unglücklich betitelt ist; vielmehr arbeitet er an einer vertiablen Kosmologie des Horrors und seiner klandestinen Überlieferung, die eigentlich nicht für menschliche Augen bestimmt ist.