Posts mit dem Label Friedrich de la Motte Fouqué werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Friedrich de la Motte Fouqué werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Mittwoch, 31. Mai 2017

Brentano / Görres: BOGS, der Uhrmacher (1807)

Ein poetisches Konzept der deutschen Romantik war das Schreiben im Kollektiv. Friedrich Schlegel formulierte in einem seiner Athenäums-Fragmente das Ideal einer „Sympoesie“, bei der „es nichts Seltnes mehr wäre, wenn mehrere sich gegenseitig ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten“. Und Novalis sah in den Journalen „eigentlich schon“ das Vorbild für „gemeinschaftliche Bücher“. Das berühmteste Unternehmen in kollektiver Autorschaft sind Die Versuche und Hindernisse Karls (1808), auch als Doppelroman der Berliner Romantik bekannt, an dem sich Karl August Varnhagen von Ense, Wilhelm Neumann, August Ferdinand Bernhardi und Friedrich de la Motte Fouqué beteiligten, die alternierend ihre Kapitel zu dem Projekt beisteuerten.

Bereits ein Jahr zuvor erschien im Umkreis der Heidelberger Romantiker eine Doppel- oder Kollektivnovelle als Gemeinschaftswerk von Clemens Brentano und Joseph Görres, das aber eher aus einer Laune heraus entstanden ist. Inspiriert durch eine Zeitungsnachricht konzipierten die beiden Autoren zunächst eine scherzhafte Konzertannoce, die sich unter der Hand aber zu einer arabesken Geschichte ausweitete, weshalb diese schließlich unter dem Titel „Die über die Ufer der Badischen Wochenschrift als Beilage ausgetretene Konzert-Anzeige“ als separates Bändchen bei Mohr & Zimmer publiziert wurde – wie damals üblich: anonym. Die Verfasser versteckten ihre Autorschaft indes im Namen ihres Helden BOGS, der sich aus den ersten und letzten Buchstaben ihrer Nachnamen zusammensetzt: BrentanO/GörreS.

Der Inhalt dieser kleinen Groteske ist rasch erzählt: Der Uhrmacher BOGS will sich bei einer Schützengesellschaft bewerben und muss zu diesem Zweck ein „Selbstbekenntniß über [seinen] Karakter und [seine] Grundsätze“ ablegen, damit die Gesellschaft auf dieser Basis beurteilen kann, ob er einer Aufnahme würdig sei. Aus dem Bekenntnis geht aber hervor, dass der Uhrmacher eine irrational starke Inklination zur Musik besitzt, eine „wahrscheinlich physische Schwäche eines sehr reizbaren etwas zum Trunke geneigten Ohrs“. Die ganz auf bürgerlich-konservative Werte bedachte Schützengesellschaft stellt ihn deshalb auf die Probe: Wenn BOGS einem Konzert beiwohnen könne, ohne davon übermäßig hingerissen zu werden, dann wolle sie ein Auge zudrücken und den musisch-empfindlichen Kandidaten in ihren Kreis aufnehmen.

In Kenntnis seiner unkontrollierbaren Leidenschaft willigt BOGS nur zögernd in das Experiment ein: „Anfangs wollte ich mein Herz und meinen Kopf zu Hause lassen, aber zuletzt mußte ich doch ersters der Courage und letzteren des Hutes wegen mitnehmen.“ Wie befürchtet gerät das Probekonzert zum Fiasko: BOGS lässt sich von der Darbietung nicht nur hinreißen, er beginnt richtiggehend zu derilieren. Er verliert das Bewusstsein, verstrickt sich in Phantasmagorien, sieht bizarre Traumwelten vor seinen inneren Augen vorbeiziehen, und kann sich zwischen den Stücken nur notdürftig an die Uhren klammern, die er als dingfeste Stützen mitgenommen hat, ihm den nötigen Wirklichkeitsrückhalt zu sichern.

Die Bilanz fällt entsprechend kläglich aus: Die Schützengesellschaft verweigert BOGS nicht bloß die Aufnahme, sie zweifelt nachhaltig an seinem Verstand, weshalb der Uhrmacher angeleitet durch Doktor Sphex – der schon in Jean Pauls Titanroman herumgeisterte – einer medizinischen Untersuchung unterzogen wird, die eine anatomische Absonderlichkeit zu Tage fördert: BOGS besitzt einen Januskopf. Auf der Hinterseite, versteckt unter dem Haar, verbirgt sich ein zweites Konterfei, welches als Antipode des armen Uhrmachers für die Schattenseite seiner Vernunft verantwortlich ist, findet sich doch im „Höhlenwerk seines Kopfes“ alle Phantasmagorien wieder, die BOGS während der Konzertvorführung heimgesucht haben, hier aber unter der Schädeldecke fröhliche Urständ feiern.

Als wäre dieser Befund – eine Art Vorfläufermotiv von Dr. Jekyll und Mr. Hyde – nicht schon phantastisch genug, beschließt Doktor Sphex in die seltsam bevölkerte Kopfhöhle hinabzusteigen, „um sich durch den unmittelbaren Augenschein über den eigentlichen Bestand der Sache Auskunft zu verschaffen“. Durch den fremden Eindringling wacht das zuvor eingeschläferte Janusgesicht aber auf und gerät dabei so stark in Rage, dass er mit dem Uhrmacher im Raum herumwirbelt, bis „endlich die Verbundenen durch die Centrifugalkraft des Schwunges von einander ließen“. So kann der Uhrmacher mehr zufällig als durch medizinisches Geschick von seinem Parasiten befreit und endlich „als stiller, gesetzter, sedater Mensch“ in die hochlöbliche Jagdgesellschaft aufgenommen werden.

Soweit die groteske äußere Handlung der Erzählung, die sich rasch als romantische Allegorie entpuppt. Zunächst kann das Janusgeschöpf BOGS, abgesehen davon, dass die Romantik eine Vorliebe für Doppelgänger- und Zwillingsmotive hatte, als Figuration der doppelten Autorschaft von Brentano und Görres selbst angesehen werden. Mehr noch aber lässt sich der Exorzismus, den BOGS über sich ergehen lassen muss, als Konflikt zwischen romantischer und bürgerlicher Weltanschauung lesen. Die nüchterne Seite von BOGS entspricht der bürgerlichen Tugend, während das rückseitige Janusgesicht die Schattenseite der Romantik verkörpert. Die Profession des Uhrmachers ist gewissermaßen auch der Inbegriff des Pedantischen und Philiströsen, das den Romantiker ein Dorn im Auge war, weshalb es in der Erzählung nicht zufällig heißt, die „Prediger aus der neuen romantischen Klique“ hätten „gegen die klassischen Uhrmacher einen Bund geschlossen“.

Die Pointe der Erzählung verläuft indes in umgekehrter Richtung, wenn es darum geht, den Uhrmacher von seinen romantischen Anleihen zu befreien. Ganz zu Beginn, in einer überlangen Annonce der Jagdgesellschaft, die ebenfalls die gutbürgerliche Tradition vertreten und die Verbannung des romantischen Gedankenguts propagieren, werden die Romantiker als „Zifferfeinde und Ungeziefer“ bezeichnet. Kein Wunder setzen solche Zifferfeinde just einem Uhrmacher, der sich ex professio mit Ziffern und Ziffernblättern befasst, besonders hart zu, weshalb es letztlich gilt, dieses romantische Ungeziefer, das leibhaftig seinen Kopf befallen hat, zu entfernen. Ironischerweise steuert gerade im Teil, welcher die Austreibung der Romantik aus dem BOGS'schen Schädel schildert, das Phantastische und Irreale der Erzählung auf eine radikale Klimax zu, dass letztlich doch, wenn nicht auf der Handlungsebene, so doch poetologisch die romantische Ästhetik den Sieg davon trägt.