Posts mit dem Label Curt Riess werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Curt Riess werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Sonntag, 19. März 2017

Curt Riess: "George 9-4-3-3" (1947)

Dieser „Spionageroman aus dem zweiten Weltkrieg“ (so der Untertitel des Buchs) erscheint nur ein Jahr nach Kriegsende, dürfte also noch während dem historischen Ereignis selbst geschrieben worden sein. Die Handlung spielt denn auch mitten im zerbombten Nazideutschland, als sich die drohende Niederlange bereits deutlich abzeichnet, auch wenn es das Regime offiziell nicht wahrhaben will und deshalb umso drastischer gegen Abtrünnige und Landesverräter vorgeht und die Kriegspropaganda mit Falschnachrichten (fake news!) weiter vorantreibt, während sich im Untergrund der konspirative Widerstand formiert.

Jimmy Collins, angeblich ein amerikanischer Reporter, doch wie sich rasch zeigt vielmehr die Verkörperung des amerikanischen Superhelden, lässt sich von Zürich aus nach Deutschland einschleusen, weil er sich eine gute Story vor Ort verspricht. Er nimmt Kontakt zum organisierten Widerstand auf und gelangt so von Bamberg nach Berlin, wo er im Haus von General Hammerbach unterkommt, der – was zwar noch geduldet, ihm später aber zum Verhängnis wird – mit einer Jüdin namens Valerie verheiratet ist. Es entspricht der zwingenden Logik des Trivialromans, dass es zwischen der attraktiven Valerie und dem amerikanischen Beau zu knistern beginnt.

Doch Collins hat auch ein Auge auf Ilse geworfen, ein junges, nicht unhübsches aber im Unterschied zur weiblich gereiften Valerie reichlich burschikoses Nazimädchen, das von Goebbels persönlich in Dienst genommen wird. Nicht ohne Absichten freilich. Nur der tägliche Kontrolldienst, den er aufgrund der prekären politischen Lage selber angeordnet hat, kann ironischer Weise verhindern, dass Goebbels ihr tatsächlich an die Wäsche geht. Zudem ist Ilse mit Fritz Kurz verlobt, einem aufstrebenden ehrgeizigen Nazi-Soldaten, der ausgerechnet auf die Spur von Collins gesetzt wird, da man in ihm – wie sich am Ende herausstellen wird: vollkommen zurecht – einen amerikanischen Spion vermutet. Kurz, der in diesem Auftrag seine große Chance wittert, ist skrupellos und geht über Leichen. So foltert er Ilses Vater zu Tode, um den Aufenthalt von Collins herauszufinden.

Ilse, die von Kindesbeinen nichts anderes als den Nationalsozialismus kannte, ist fortan hin- und hergerissen zwischen der Brutalität ihres Verlobten, der ihrem ideologisch deformierten Weltbild zufolge aber für die richtige Seite kämpft, und und dem deklarierten Staatsfeind Collins, dessen Charme sie gleichwohl nicht widerstehen kann. Ihr Gefühl deutet ihr jedoch zusehends an, dass der Amerikaner wohl die Wahrheit und ihr Verlobter die Lüge und Bestialität des Naziregimes verkörpert. Damit wäre eigentlich der Spannungsbogen errichtet, der einen emotionsgeladenen Machtkampf zwischen Gut und Böse verspricht.

Doch Kurz wird bereits in der Mitte der Geschichte überraschend während eines Bombenangriffs außer Gefecht gesetzt. Wie durch einen deus es machina wird dadurch der direkte Antagonist von Collins ausgeschaltet, was die Situation wenigstens kurze Zeit für diesen entscheidet. Aber immerhin gibt es noch größere Aufgaben zu bewältigen: nämlich die Verhinderung der neusten Vergeltungswaffe, der V4-Rakete, mit der die Nazis einen Angriff auf Amerika planen. Collins begibt sich zusammen mit deutschen Widerstandsaktivisten nach Dresden, um an geheime Pläne der Herstellungszentren zu gelangen. Mit Sprengstoffkommandos hofft er, die Standorte vor dem Abschuss der Rakete auszulöschen.

Der spektakuläre Showdown spielt sich dann vor der Kulisse des Bombenhagels ab, der die kulturell bedeutsame Stadt in Schutt und Asche legen wird. In Dresden trifft Collins wieder auf Ilse und Kurz, der unter Vortäuschung einer Erblindung sich nicht nur am Verführer seiner Freundin rächen, sondern überhaupt für die offenkundige Niederlage der Nazis exemplarisch am amerikanischen Gegner Vergeltung üben will. Hier zeigt die nationalsozialistische Ideologie nochmals ihre hässliche Fratze, bevor Kurz – fast simultan zum Einmarsch der Alliierten – endgültig kapitulieren muss. Als bittere Pointe zeigt sich dann aber, dass Collins zur Zerstörung von Dresden selbst beigetragen hat, weil sich eine der zu vernichtenden Montageanlagen der V4-Rakete just im dortigen „Großen Garten“ befand.

Der Titel des Romans bezieht sich übrigens auf den Geheimcode, mit dem Collins vor der Verfolgung durch die Gestapo gewarnt werden sollte. Doch wird ihn die chiffrierte Botschaft nie erreichen. Der Agent B 24, der sie übermitteln soll, wird schon auf S. 40 Opfer einer Razzia von Gestapobeamten. Mit dem Tod des Agenten spielt auch die Botschaft keine weitere Rolle mehr. Als Leser erfährt man nur, dass sie im ganzen „hundertundfünf Worte“ umfasste. Der genaue Inhalt bleibt ungewiss. Und so muss es beim Verdacht (der sich im Verlauf der Lektüre allerdings rasch zur Gewissheit steigert) bleiben, dass Collins in Tat und Wahrheit tatsächlich ein verdeckter Agent und nur zur Tarnung ein Journalist war. Anders ist es auch nicht zu erklären, weshalb Collins zum Schluss sagt, dass er – obwohl seine Erlebnisse eine gute Story versprechen, „nicht darüber schreiben durfte“.

Darüber geschrieben hat hingegen Curt Riess (1902-1993), der – wie der Verlagsanzeige zu entnehmen ist – im amerikanischen Exil ein äußerst produktiver Autor von anti-faschistischen Kolportageromanen war mit Titeln wie „I WAS A NAZI FLIER“, „THE INVASION OF GERMANY“ oder „THEN NAZIS OF UNDERGROUND“. Seine realitätsgesättigten Kenntnisse erwarb Riess als Kriegsberichterstatter der US-Army. Diese dokumentarische, aber auch zeitliche Nähe zum aktuellen Kriegsgeschehen machten die Romane damals zu einer fesselnden Lektüre (vergleichbar bspw. mit zeitnahen cineastischen Darstellungen von 9/11). Heute liegt der historische Wert des Romans vorwiegend darin, dass es sich um eine – wohl für so viele spätere Adaptionen – literarische Quelle erster Stunde handelt.