Posts mit dem Label Johann Wolfgang von Goethe werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Johann Wolfgang von Goethe werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 17. Juni 2024

Thomas Love Peacock: Nightmare Abbey (1818)

Der Titel dieses Konversations-Romans führt auf eine falsche Fährte. Wer zurecht einen Schauerroman vermutet, fühlt sich mit Sicherheit enttäuscht, auch wenn der Autor - allerdings auf höchst ironische Weise - mit schauerromantischen Elementen spielt oder mehr noch eine veritable Parodie der englischen Gothic Novel mit all ihren Versatzstücken vornimmt. Peacock, zeitlebens ein Gentleman-Writer, der sein Einkommen nicht mit der Schriftstellerei, sondern in leitender Anstellung bei der East Indian Company verdiente, konnte es sich als literarischer Aussenseiter leisten, seiner Feder freien Lauf zu lassen. Dabei gelingt ihm das Kunststück, das grosse Literatur auszeichnet: Das Werk sprüht nur so von intertextuellen und lebensweltlichen Anspielungen. Peacock amalgamiert gekonnt seine weitreichende Belesenheit mit der Begabung, sein Umfeld mit humoristischem Einfühlungsvermögen abzukonterfeien.

Fast das gesamte Romanpersonal lässt sich mit dem Kreis um den englischen Schriftsteller Percy Bysshe Shelley identifizieren, mit dem auch Peacock verkehrte, und zwar just in jener Phase als der bereits verheiratete Shelley eine Beziehung zur 18jährigen Mary Wollstonecraft Godwin einging, die später seine zweite Frau wurde und am Genfersee, damals noch bei einem heimlichen Treffen mit ihrem liierten Geliebten, mit Frankenstein die Mutter aller Gothic Novels verfasste. Der Roman erschien übrigens zeitgleich mit Peacocks Schlüsselroman rund um den Shelley-Kreis und hat auch just den Zwiespalt des Protagonisten zum Thema, der zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen ist. Shelleys Konflikt spiegelt sich unverkennbar in der Romanhandlung, zugleich dient Goethes Drama Stella als intertextuelle Folie.

Der Roman selbst ist mit seinen typographisch abgesetzten Dialogpartien streckenweise wie ein Theaterstück strukturiert, ganz abgesehen davon, dass die Haupthandlung direkt aus einem zweitklassigen Dorfschwank stammen könnte. Scythrop, ein schwermütiger Jüngling, dem die Transzendentalphilosophie den Kopf verdrehte, soll verheiratet werden. Sein Vater Mr. Glowry sieht dafür die Tochter Celinda seines Freundes Mr. Flosky vor, doch weder er noch sie wollen die Partie eingehen. Sie entflieht spurlos aus ihrem Elternhaus und Scythrop umschwärmt stattdessen seine Cousine Marionetta, die ein kokettes Liebesspiel mit ihm treibt. Durch einen Zufall gelangt die geflüchtete Celinda jedoch in die Obhut von Scythrop, der sie allerdings, da er sie nie zuvor gesehen, erkennt, sondern für eine geflüchtete Illuminatin hält, was seiner obskurantistischen Vorliebe nur entgegenkommt, weshalb er sich auch in sie verliebt und sich am Ende nicht zwischen beiden Geliebten entscheiden kann. Aus Not will er à la Werther zur Pistole greifen, entscheidet sich kurzerhand dann aber doch für eine Flasch Madeira.

Das alles spielt sich im Anwesen von Mr. Glowry ab, in der titelgebenden 'Alptraum-Abtei', im Kreise skurriler und höchst exzentrischer Personen, die sich die Zeit mit müssigen ästhetischen und weltanschaulichen Diskussionen vertreiben. Alles diese Typen sind mit ihren Idiosynkrasien treffend geschildert wie Peacock überhaupt über ausreichend Menschenkenntnis und Esprit verfügt. Besonders gut kommt das zum Ausdruck, als alle zusammen ein Glas Wein trinken, was jeder einzelne in seiner eigenen Manier kommentiert. Der verliebte Scythrop nennt den Wein das "einzige blutstillende Mittel für ein blutendes Herz", der abgeschlaffte Hedonist Mr. Listless nennt ihn die "einzige Mühe, welche es sich wirklich lohnt zu machen", der fatalistische Mr. Toobad spricht vom "einzigen Antidoton gegen den grossen Zorn des Teufels", der pessimistische Mr. Larynx hält ihn für das "einzige Stück akademischen Wissens, welches der ausgebildete Studiosus behält" usw.

Der Roman ist zu verspielt und leichtfüssig, als dass er in den literarischen Kanon hätte aufsteigen können. Er ist unverkennbar das Produkt einer Freizeitbeschäftigung, die Ausgeburt eines sprühenden Geistes, der seine Einfälle nicht der Ernsthaftigkeit einer komplexen Konzeption unterordnen will oder kann. Wenn der Roman gleichwohl literaturhistorische Relevanz besitzt, dann vor allem deshalb, weil er gut 150 Jahre später ein opus magnum angeregt hat: Arnos Schmidts Zettels Traum, der die Idee zu seinem Roman einer Stelle entnommen hat, die Coleridges angebliche Inspiration im Opiumschlaf parodiert: "Ich verfasste fünfhundert Zeilen im Schlaf, so dass ich jetzt, nachdem ich einen Traum von einer Ballade gehabt habe, als meine eigener Peter Squenz fungiere und eine Ballade aus meinem Traum mache, uns sie soll 'Zettels Traum' heissen, weil sie so seltsam angezettelt ist."

Freitag, 29. Dezember 2023

Abram Terz: Klein Zores (1980)

Unter dem Pseudonym Abram Terz veröffentlichte Andrej Sinjawskij in der Sowjetunion zahlreiche phantastische Geschichten, darunter auch den utopischen Roman Ljubimow (1964), der sich kritisch mit dem kommunistischen Regime auseinandersetzt, was dem Autor 1966 nach einem aufsehenerregenden Schauprozess eine siebenjährige Haftstrafe einbrachte. 1973 entliess man Sinjawskij ins Exil nach Paris, wo er sich als Dozent für russische Literatur an der Sorbonne eine neue Existenz aufbauen konnte. Es erschienen diverse Sachbücher zur russischen Kultur und Literatur sowie diese kleine Erzählung, die an die phantastischen Anfänge seiner Schriftstellerei anknüpft.

Märchen, Parabel, Allegorie, autofiktionale Spielerei und eine Hommage an E.T.A. Hoffmann, den Meister des Phantastischen - die Erzählung ist alles in einem und noch viel mehr, voll von intertextuellen Anspielungen und hermetischer Symbolik. Der Held heisst, wie der Autor mit bürgerlichem Namen, Sinjawskij, wird aber von allen nur "Klein Zores" genannt, weil er ein "Zwerg" ist, nicht mehr Kind, aber auch nicht ganz erwachsen, und vielen wie "Lermontows Dämon" vorkommt. Wie der russische Romantiker in seinem Verspoem den Faust-Stoff aufgreift, so geschieht dies auf inverse Weise auch in Klein Zores. Der Protagonist ist quasi eine anti-mephistophelische Kraft.

Von Mephisto heisst es in Goethes Faust, er sei "Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft". Bei Klein Zores verhält sich genau umgekehrt: Er möchte niemandem etwas Böses und doch unterläuft es ihm ständig: "Es ist mir peinlich, dies auszusprechen, aber ich wünsche den Menschen nur Gutes. Ich liebe sie. Überschlage mich dabei. Aber ich erreiche nur das Gegenteil!" Was er auch anpackt, es führt zu einem Unglück: "Das Böse ist nur ein Nebenprodukt des erhofften Guten ..." Grund dafür ist, dass Klein Zores in Kinderjahren seine "Liebe" opferte, damit ihn eine Fee von seinem Stottern befreite: "So verkaufte ich mich, ohne zu ahnen, was ich tat, dem Teufel."

Wie das Kunstmärchen über den ebenfalls zwergwüchsigen Klein Zaches bei E.T.A. Hoffmann, das Sinjawskij als Vorlage diente, erfolgt auch hier die Sozialisation des Protagonisten durch Feenzauber, der ihm das Sprechen erst ermöglicht. Im Unterschied zu Klein Zaches, der fortan eine glanzvolle Karriere durchläuft, ist Klein Zores jedoch vom Pech verfolgt. Ohne es zu wollen, bringt er der Reihe nach seine fünf Brüder und schliesslich auch seine Mutter ins Grab. Eigentlich unschuldig, trägt er doch die Schuld an ihrem Tod, dabei möchte er, der als "Bastard" geboren wurde, bloss herausfinden, wer sein Vater ist, muss am Ende - in einem überraschenden Perspektivenwechsel der Erzählung - jedoch erfahren, dass er, Zaches, längst gestorben und der Vater wahrscheinlich an seinem Tod verantwortlich ist.

Dieser Dreh, dass eine vermeintlich lebende Person sich plötzlich als Geist erweist, ist zwar nicht neu, hier aber effektvoll eingesetzt: Auf einmal ist klar, weshalb Zaches ein "Zwerg" geblieben ist, weil er schon als Kind verstarb: "Klein Zores ist überhaupt kein Erwachsener geworden." Aus einer jenseitigen Welt wohnt Zaches seinem Leichenschmaus bei, bei dem die Geschwister sich darüber in die Haare geraten, wie und weshalb er gestorben sei. Es werden genau diejenigen Todesarten erörtert, denen die Geschwister angeblich durch Zaches Schuld zum Opfer fielen. Doch erweist sich dies als Illusion, wie am Schluss sich ohnehin die ganze Szenerie als Spuk verflüchtigt. Zurück bleibt ein alter Mann (der Autor selbst?), der seine fünf Finger, stellvertretend für die fünf Brüder, auf einen Stapel vollgeschriebener Blätter legt.

Neben dem alten Mann steht ein zudem Schrank, der sich "auf seinen Hinterbeinen in die Höhe" reckt. Dasselbe Schränkchen traf Klein Zaches in der Geschichte bereits bei der Fee an und er vermeinte, dass es "Ernst Theodor Amadeus Hoffmann persönlich" sei, "der uns auf vier gedrehten Beinchen besucht". Hier rettet sich zum Schluss ein Requisit aus der Fiktion in die Schreib-Szene, die sie hervorgebracht hat - und bestätigt rückwirkend die Vermutung des Protagonisten. Das Kästchen, das in der Erzählung reg- und leblos blieb, bewegt sich plötzlich. Ob tatsächlich der Geist E.T.A. Hoffmanns es belebte, bleibt der Phantasie der Leserschaft überlassen. 

Mittwoch, 21. Juni 2017

Luigi Malerba: Der Protagonist (1973)

Catull besang ihn in seinen mentula carmina, Goethe nannte ihn „Meister Iste“ und bei Gerhard Zwerenz taucht der „Kleine Herr“ sogar im Buchtitel auf; aber dass er gleich, wie bei Luigi Malerba, zum Protagonisten eines ganzen Romans erkoren wird, dürfte wohl eine einmalige Angelegenheit sein. Selbst der "Penismonolog" von Blumfeld kann das nicht toppen. Auf die pennälerhafte Idee muss man auch erst einmal kommen, ein membrum virile nicht nur zum Hauptdarsteller einer Geschichte, sondern erst noch zum Erzähler zu wählen.

Der Protagonist, von dem hier die Rede ist, gehört zum „Boss“ - so nennt er seinen stolzen Besitzer, dessen sexuelle Abenteuer er kommentiert und berichtet. Der Boss ist Funkamateur und lässt ab und zu schon mal den Protagonisten als Antenne über den Dächern Roms ausfahren, derweil vorbeieilende Nonnen entstetzt das Kreuz schlagen müssen. Der Boss funkt, um junge „Fräulein“ zu finden, die er in seine Wohnung (die „Höhle“) locken will, um dort in ihren „Garten“ zu dringen. Mit Elisabella hat er schließlich Glück, sie lässt sich auf ein solches Schäferstündchen ein und wartet nur darauf, dass die geladene "Pistole" des Bosses endlich, wie er ständig in Aussicht stellt, zum "Schuss" gelangt.

Doch da zeigt sich die Misere hinter dem ostentativen Geprotze des Bosses: Er schafft es nicht, den Protagonisten zu seiner zugedachten Rolle zu verhelfen. Dieser rühmt sich zwar, nicht unbescheiden, als das aristotelische „Bewegende Organon“ zu gelten - doch beim Boss bewegt sich leider gar nichts, zumindest nicht in Gegenwart von Elisabella. Der Grund liegt, wie sich allmählich zeigt, in in den seltsam abnormen, ja abartigen Neigungen des Bosses. Dass es ihm mitunter gefällt, den Protagonisten in einen warmen Heizkörper zu stecken, mag noch angehen. Dass er dasselbe Verlangen aber auch bei öffentlichen Reiterdenkmälern, einer Mumie und – horribile dictu – einem toten Walfisch verspürt, ist an Perversion kaum zu überbieten.

Malerba scheint mit seinem dritten Roman tatsächlich die Grenzen des guten Geschmacks mehr als nur ausloten zu wollen. Man kann den Roman auch als Neuinterpretation der menippischen Satire verstehen, welche durch einer Verschiebung bzw. Verfremdung der Perspektive eine groteske Realität entwirft. Die Perspektive des Protagonisten ist naturgemäß diejenige von unten. Sie nimmt die angebliche Gewohnheit vieler Männer auf, mit ihrem besten Stück zu sprechen, es zu individualisieren und Namen zu geben. Hier ergreift dieser treue Begleiter tatsächlich einmal das Wort und liefert damit das Porträt eines Mannes, der nicht mit dem Kopf, sondern eben mit seinem Unterleib denkt. Zugleich wird aber auch deutlich, wer oft hinter einem solchen Protagonisten steckt: ein veritabler Schlappschwanz nämlich.


Mittwoch, 22. Februar 2017

Rodolphe Toepffer: Die Bibliothek meines Onkels (1832; dt. 1847)

Diese Erzählung erfreute sich damals großer Beliebtheit, was heute kaum mehr vorstellbar ist, denn es fehlt ihr an einem durchgehenden Handlungsbogen. Allein der Titel wird auf der Inhaltsebene nicht wirklich eingelöst, zumal die Bibliothek nur sehr subtil und hintergründig das Geschehen bestimmt. Stattdessen werden in loser Folge einzelne Episoden, Betrachtungen und Einfälle aneinander gereiht, wie es der Autor auch in seinen Bildergeschichen tat, für die er heute noch als Pionier der Comickunst bekannt ist. Selbst Goethe war von den gezeichneten Bilderfolgen begeistert. Über die hier vorgestellte Erzählung La bibliothèque de mon oncle hingegen konnte er sich nicht mehr äußern: Als das persönlich von Toepffer verschickte Widmungsexemplar Weimar erreichte, weilte der Dichterfürst schon nicht mehr unter den Lesenden.

Wie er darauf reagiert hätte, darüber lässt sich nur spekulieren. Die Novelle ist ganz im Geist der empfindsam-launigen Erzählweise geschrieben, wie sie durch zahlreiche Imitatoren von Laurence Sterne und seiner Sentimental Journey im deutschen Sprachraum popularisiert wurde. Anstelle der Reise, die ein beliebtes Motiv für diesen sprunghaften Stil war, wählt Toepffer das Fenster als situativen Rahmen. Der Ich-Erzähler Julius präsentiert sich als „Gaffer“, der stunden- ja tagelang aus dem Fenster in seiner Dachwohnung schaut und die Welt betrachtet. Das Fenster – und nicht etwa. wie man meinen könnte, die Bibliothek – ist somit der privilegiert Ort, von dem aus erzählt wird. Einleitend wird das Fenster – in Abgrenzung zur Schwelle und zur Stube – sogar als ideales Erkenntnismodell vorgestellt. Die im Titel prominent genannte Bibliohtek hingegen fungiert eher als Negativfolie. Entsprechend kommt ihr während der gesamten Erzählung auch keine spezifische raumpoetische Bedeutung zu.

Julius, der Protagonist und Erzähler, ist ein 18jähriger, elternloser Student, der deshalb bei seinem Oheim wohnt. Dieser ist ein kauziger alter Privatgelehrter und Bücherwurm, der sich am liebsten in seiner Bibliothek aufhält und dort jedes einzelne Exemplar in- und auswendig kennt, während die Welt keine Notiz von ihm nimmt. Vom Bücherstaub will auch Julius gar nichts wissen; viel lieber schaut er zum Fenster hinaus und verliert sich in Tagträumen: „Ja, das Herumgaffen ist wenigstens einmal im Leben nötig, aber besonders im achtzehnten Lebensjahre, wenn man die Schule verläßt. Hier gewinnt die durch das Lesen alter Schwarten vertrocknete Seele wieder neues Leben“. Was den Jüngling in seinem Alter vor allem interessiert, sind demnach nicht lateinische Phrasen, die ihm der Hauslehrer Ratin aufzwingen will, sondern es ist das weibliche Geschlecht, um das sich die lose gestrickte äußere Handlung gleich in dreifacher Weise dreht.

In gewisser Hinsicht ist es eine Geschichte der Adoleszenz. Julius, der Protagonist, ist ein schüchterner junger Mann, der sich insgeheim umso sehnsüchtiger nach den angehimmelten Frauenzimmern verzehrt. Nacheinander schmachtet er so verstohlen wie offensichtlich für die Engländerin Lucie, für eine Jüdin, die allerdings zu früh verstirbt, als dass sich die Liebe erfüllen könnte, sowie für Henriette, die er schließlich heiratet, obwohl der Vater zunächst dagegen interveniert, da er in Julius, der seinem „Hang für die schönen Künste“ nachgekommen und Maler geworden ist, für eine finanziell denkbar unsichere Partie hält. Doch am Ende kommt die Vermählung trotzdem zustande, nicht zuletzt weil der Oheim von Julius altersbedingt seine Bibliothek verkauft und den Erlös als Mitgift stiftet. So gewinnen die Bücher, die Julius stets verschmäht hat, am Ende doch noch einen, wenngleich nur pragmatischen Nutzen.

Dennoch spielt die Bibliothek in den beiden anderen Teilen hintergründig eine entscheidende Rolle, insofern sie als Katalysator für die amourösen Gefühle von Julius dient. Im ersten Teil ist es die Geschichte von Abaelard und Heloise, die Julius in der Bibliothek entdeckt und von der er nachhaltig erotisiert wird. Im zweiten Teil ist es eine apokryphe, der „Bulle Unigenitus“ beigebundene Passage, die Julius über der Jüdin heimliche Neigung zu ihm Aufschluss verleiht. In beiden Fällen führt das Begehren zunächst über die Schrift. Doch ist den durch das Buch vermittelten Liebschaften keine Dauer beschieden. Es gehört wohl zur Ironie der Geschichte, dass erst der Buchverkauf zu einer stabilen Beziehung und zur Heirat führt, während das bloße Wort sich als höchst unsichere Phantasmagorie erweist.

Die Geschichte endet mit dem Tod des Oheims und einem – in Form eines Briefs von Julius an Lucie verfassten – Nachrufs auf ihn: „Dies, Madame, ist die einfache Erzählung von den letzten Augenblicken eines unbeachteten, der Welt fremden und selbst seinen eignen Nachbarn unbekannten Mannes, den ich aber aus vollem Herzen unter die besten Menschen der Erde zählen muß. Sein langes Leben erscheint mir wie der Lauf eines unbeachteten aber segenspendenen Baches, der seine bescheidenen Ufer erquickt und in dem sich die milde Heiterkeit eines lachenden wolkenlosen Himmels spiegelt.“