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Sonntag, 15. Dezember 2024

Kurt Vonnegut: Schlachthof 5 (1969)

Kurt Vonnegut, Verfasser satirischer Science-Fiction-Romane, erlebte als gefangener amerikanischer Soldat hautnah den Bombenangriff auf Dresden im Jahr 1945. Seit diesem Erlebnis wollte er die Erinnerungen daran zu Papier bringen, doch er fand nie die richtige literarische Form dafür, wie er im Vorkapitel zu diesem Buch erläutert. Bis er schliesslich auf die Idee verfiel, gänzlich von einem Erlebnisbericht abzusehen und die Geschichte wie eine wahnwitzige Science Fiction Story zu erzählen. Er durchmischt seine Kriegserinnerungen mit extraterrestrischen Versatzstücken der aus seinen Romanen bekannten Tralfamadoniern, worauf im barocken Untertitel auch angespielt wird, und schickt eine fiktive Figur namens Billy Pilgrim auf eine abenteuerliche Reise durch Raum und Zeit, was es schier unmöglich macht, den trotz seines bescheidenen Umfangs überbordenden Roman auch nur einigermassen sinnvoll zusammenzufassen.

Doch beginnen wir beim Namen, denn Nomen est bekanntlich omen: Der Pilger Pilgrim ist eine Art Inkarnation des ewigen Juden, der zu rastloser Wanderung verdammt ist. Nicht nur, dass Billy von einem Moment auf den anderen wild durch seine Lebensgeschichte und erst noch auf fremde Planeten katapultiert wird, er durchlebt während seiner Zeitreisen auch unentwegt alle Phasen seines Daseins. Was den tröstlichen Aspekt hat, dass er selbst in den schlimmsten Situationen niemals um seinen Tod fürchtet, weil er ihn bereits kennt. "So geht das." - Diese im Roman refrainartig wiederkehrende Formel bringt Vonnegut jedesmal, wenn jemand stirbt, ermordet wird oder sonstwie ums Leben kommt. Und das geschieht am Laufmeter, was der lapidaren Formel einen bitterironischen Unterton verleiht. Sie demonstriert die Gleichgültigkeit mit der im Krieg das Leid und die Vernichtung so vieler Menschen hingenommen wird.

Der Klappentext zitiert den Kritiker Hans Sahl mit der Aussage, es sei "ein Buch gegen die Unmenschlichkeit". Wer dabei nun einen moralisch hochgestreckten Zeigefinger erwartet, liegt falsch. Vonnegut erzählt schrill, grell, mit comicartigen Bildern und, zeitreisebedingt, im hektischen Wechsel der Szenen, die mal in Billys Vergangenheit führen, mal auf den Planeten Tralfamadore, dann wieder in die Dresdener Szenerie, wo er gemeinsam mit britischen und amerikanischen Soldaten im Schlachthof 5 in Gefangenschaft war, als der Bombenhagel über der Stadt losging. Gegen Ende des Romans liegt Billy im selben Krankenhaus wie der Militärhistoriker Copeland Rumfoord, ein arroganter Grosssprecher, der in seinem 27bändigen Standardwerk über die "Amtliche Geschichte der Heeresluftwaffe im Zweiten Weltkrieg" den verheerenden Luftangriff auf Dresden systematisch unterdrückte und Billy keines Blickes würdigte, als dieser behauptete, er sei selbst vor Ort gewesen.

Vonneguts Schwierigkeiten mit seinem Erlebnisbericht dürften mit diesem öffentlichen Verdrängungsprozess zusammenhängen: Eine Geschichte, die niemand hören will. Deshalb legt er sie dem denkbar unglaubwürdigsten Zeitzeugen in den Mund, einer rührend-naiven Figur, die aufgrund übermässiger Lektüre von Trivialromanen des erfolglosen SF-Autors Kilgore Trout an Zeitreisen glaubt und davon überzeugt ist, von Ausserirdischen entführt worden zu sein. Mit derselben Selbstverständlichkeit spricht er über seinen Aufenthalt auf Tralfamadore wie über über die Katastrophe von Dresden und verleiht seiner Erzählung somit einen fragwürdigen Wirklichkeitsstatus und dem Buch insgesamt alle Ingredienzien eines postmodernen Romans, der frei mit historischen, fiktionalen und auch intertextuellen Versatzstücken umgeht (etwa zu dem im Untertitel erwähnten Kinderkreuzzug oder zu John Bunyans The Pilgrim Progress).

Zu diesem postmodernen, metafiktionalen Spielformen gehört auch ein - wohl spektakulärer! - Cameo-Auftritt des Autors selbst, der seiner eigenen Figur im deutschen Gefangenlager begegnet. Dort auf der Latrine wird Billy Zeuge einer üblen "Scheißorgie", bei der ein Amerikaner verzweifelt darüber klagt, dass er sogar sein Hirn herausgeschissen hätte: "Das war ich. Ich war das. Das war der Verfasser dieses Buches."