Ein Buch, das einen von der ersten Seite an fraglos und unmittelbar fesselt. Und das obschon die gesamte Erzählanlage hochgradig unrealistisch ist. Handelt es sich doch um einen einzigen langen Monolog, in Echtzeit vorgetragen, und zwar am Steuer eines mit Hochgeschwindigkeit fahrenden Autos. Auf dem Nebensitz befindet sich ein renommierter Lyriker, der nicht nur ein Verhältnis mit der Frau des Autofahrers, sondern auch mit dessen Tochter einging, die sich hinten auf dem Rücksitz verkriecht und aus Todesangst irgendwann übergeben muss. Der Fahrer nimmt beide mit auf eine letale Amokfahrt durch die Nacht mit dem erklärten Ziel, den Wagen am Ende mit allen Insassen gegen die Mauer einer alten Scheune prallen zu lassen und damit seine "private Apokalypse" herbeizuführen. Ein acte gratuit, wie der Fahrer selber zugibt, absurd und sinnlos: "was jetzt geschieht, muss jedem, ausser vielleicht den Insassen des zerstörten Wagens, unsinnig erscheinen".
Das literarische Motiv ist durch den Futurismus vorgeprägt. Tommaso Marinetti schildert im ersten Futuristischen Manifest eine ebenso waghalsige Autofahrt, die letztlich auch im (schier tödlichen) Unfall mündet, aus dem der Fahrer, aber - gestählt durch seinen Wagemut - als neuer Mensch hervorgeht. Der Crash als schöpferischer Akt und als Wiedergeburt. Einen ähnlich (pro)kreativen Effekt verspricht sich der Fahrer von dem nächtlichen Todesritt, den er mit dem Liebhaber seiner Frau und Tochter unternimmt. Nicht Eifersucht sei sein psychologisches Motiv, wie er beteuert, auch nicht Rache oder Strafe. Aus der schier endlosen Suada, die der Monolog- und Autoführer von sich gibt, geht sein Motiv zwar nicht restlos hervor, dafür umso deutlicher seine Perversionen. Insbesondere lässt sie tief blicken, was seinen Hang zum Sadismus betrifft.
Gleich zu Beginn bekennt er, ihn habe als Jugendlicher nichts so sehr fasziniert, wie verstümmelte Leichenbilder und Pinups. Die Kombination von Gewalt und Erotik hat ihn schon früh geprägt. Ihren Höhepunkt erreicht sie in der Affäre mit Monique, die er eines Abends mutwillig übers Knie legt und verdrischt, aus Revanche dann von ihr ungleich brutaler mit dem Gürtel gezüchtigt wird, was ihn aber zur Erkenntnis führt, dass "im Sadismus Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung" liege. Im Vergleich zu diesem Flagellantismus stellt die Todesfahrt für ihn die ultimative Ekstase dar, nachdem er jahrelang die Affäre des Lyrikers mit seiner Frau und Tochter nicht nur toleriert, sondern auf seine perverse Art auch gefördert und mitverfolgt hat, nur um alle (auch sich selbst) im entscheidenden Augenblick auszulöschen.
Weshalb aber heisst der schmale, von Jürg Laederach bravourös ins Deutsche übertragene Roman "Travestie"? Als literarisches Verfahren versteht man darunter die komische Verfremdung eines klassischen Stoffes. In diesem Fall ist es das bürgerliche Eifersuchtsdrama, das hier karnevalesk verkehrt wird. Keine heimlichen Liebschaften, kein offenes Duell unter Ehrenmännern, sondern eine perverse (und das heisst auf lateinisch wörtlich: verkehrte, also travestierte) und von langer Hand orchestrierte menage à quatre, die ihre Erfüllung im Kollektivtod finden soll. Als Schlüsselerlebnis gibt der Fahrer ein "Vorkommnis in [s]einem frühen Mannesalter" an, als er blindwütig auf einen älteren Herrn mit einem Mädchen lossteuerte, und das er "eine Art Travestie, mit einem Wagen, mit einem alten Lyriker und mit einer jungen Frau" bezeichnet, also eine direkte Vorwegnahme dessen, was er im Begriff ist, gerade nochmals aus- und diesmal auch: zu Ende zu führen.
Der Roman endet tödlich, zumindest mit dem "Versprechen": "Es wird keine Überlebenden geben. Keine."