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Samstag, 31. Mai 2025

Carter Brown: Leiche - oben ohne (1966)

Zwischendurch liebt das Lesefrüchtchen ein leicht bekömmliches Trivialromänchen, das man unangestrengt und verlustfrei in ein bis zwei Stunden ausgelesen - und sich dabei auch köstlich amüsiert hat. Zu dieser Sorte gehören die Krimis von Carter Brown um den Privatschnüffler "mit Bürstenhaarschnitt" Danny Boyd, an dessen zynischem Schmiss sich dazumal sogar der Lehrstuhl des Philosophen Hans Blumenberg delektierte. Wer faule Sprüche mag, kommt hier bestimmt auf seine Kosten. Wobei das auch an der deutschen Übersetzung liegen mag, in diesem Fall von Will Helm, der bereits im Titel - im Original lautet er schlicht The Black Lace Hangover - seine eigene Sprachkreativität walten lässt. Der Doppelsinn zielt natürlich auf Boyds Vorliebe für, wie es einmal heisst, "denkmalsreife Busen", in Kombination mit einer Leiche kann sich das "oben ohne" allerdings auch auf einen abgetrennten Oberkörper beziehen.

So beginnt der Krimi tatsächlich mit einem paar abgetrennter Frauenbeine, die unter dem Sofa von Boyds - nach einer "ganz verteufelten Party" zerstörten - Wohnung hervorschauen. Der fürchterlich verkaterte Boyd, der während der Party überdies von einem eifersüchtigen Catcher durch den Raum geschleudert wurde, registriert die Körperteile mit dem ihm eigenen Sarkasmus: "Bei so einer wilden Party bleibt ja immer mal was liegen, aber das hier war doch mehr als unglaublich. Irgendwo in Manhattan musste jetzt eine Dame ohne Unterleib herumlaufen." Die Diagnose stellt sich dann aber rasch als irrig heraus, als Boyd, attrahiert von den "prachtvollen Beinen" und "wohlgerundeten Schenkeln" diese zu betatschten beginnt und feststellen muss, dass der Oberkörper keineswegs abgetrennt ist, sondern vom Sofa verdeckt und eben im Begriff ist, einen gellenden Schrei auszustossen: "Sie sind ein Wüstling!"

Das ist der Beginn einer turbulenten Geschichte, die in der ersten Hälfte aus einer fortlaufenden Pechsträhne, an der eine Pleite auf die nächste Panne folgt, in der zweiten Hälfte dann aus einer Reihe an unglaublichen Kehrtwendungen (aka Plot Twists) besteht. Eine richtige Leiche taucht bald auf: Und zwar der ermordete Onkel Joe der namenlosen jungen Frau, die Boyd unter seinem Sofa entdeckte. Sie sei versehentlich auf die Party geraten, weil sie sich im Stockwerk irrte und eigentlich ihren Onkel besuchen wollte. Als sie gemeinsam mit Boyd seine Wohnung betritt, liegt er aufgeschlitzt in der Badewanne. Danach überstürzen sich die Ereignisse: Es stellt sich heraus, dass die junge Frau die Tochter Lucia des im Sterben liegenden Mafiabosses Duke Borman - und ausserdem in grosser Gefahr ist, weil sie entführt werden sollte, um aus Borman auf dem Sterbebett noch wichtige Informationen erpressen zu können.

Boyd wird deshalb von einem anderen Onkel Lucias, Jerome Lansing, gebeten, mit ihr für ein paar Wochen abzutauchen, bis Borman gestorben sei und damit Lucia auch aus der Gefahrenzone. Man kann sich vorstellen, dass sich ein Frauenheld wie Boyd nichts Besseres vorstellen kann, als mit einer attraktiven 22-Jährigen ein paar gemeinsame Wochen zu verbringen. Er hat allerdings die Rechnung ohne ihre "Anstandsdame" Roberta Carrol gemacht, die sie begleiten wird. Doch stellt sich das rasch als das kleinste Problem heraus: Lucia türmt mit Boyds Wagen aus dem Ferienbungalow auf Long Island und Roberta führt ihn an der Nase herum, das heisst konkret: sie ver-führt ihn, um gleich darauf auch abzuhauen. Boyd fühlt sich somit gleich doppelt betrogen - als Ermittler wie als Liebhaber: "Ich war nahe dran, den Geist aufzugeben, als ich erkannte, dass es keineswegs mein unwiderstehlicher Charme gewesen war, der sie in meine Arme geführt hatte."

Auch in der Folge reiht sich Betrug an Betrug und Bluff an Bluff. Alle werden reihum an der Nase herumgeführt. Als grosser Strippenzieher im Hintergrund erweist sich ein gewisser Dane Fordyce, der in wunderbar satirischer Überspitzung als kleines affenartiges Männchen geschildert wird, das fast hinter dem Telefonhörer verschwindet. Aber wie so oft, sind die kleinsten Wichte die grössten Bösewichte. Er hat Onkel Joe auf dem Gewissen, aus Gewinnsucht. Um den Verdacht von sich abzulenken, wollte er die Tat seiner Witwe - als die sich Roberta herausstellt - in die Schuhe schieben und Boyd sollte als nichtsahnender Strohmann dienen, als "einer, der leicht auf ein hübsches Lärvchen hereinfällt". Denn auch Lucia war keineswegs zufällig auf seiner Party, sondern sollte ihn auf eine falsche Fährte führen. Unerwartet taucht auch ihr Vater, der Duke, quicklebendig auf, der seinen baldigen Tod nur vortäuschte, um inkognito nach dem Rechten zu sehen. So bietet jede Seite eine neue Überraschung und die Geschichte endet so überstürzt wie sie begonnen hatte.

Sonntag, 18. April 2021

Hans Blumenberg und Carter Brown

Ein überraschendes, auch amüsantes Detail aus der im letzten Jahr erschienen Biographie über Hans Blumenberg von Rüdiger Zill ist, dass der Grossphilosoph mit dem unvergleichlich eleganten Wissenschaftstil offenbar auch eine Vorliebe für Groschenliteratur hegte. Zitiert wird eine bereits 1998 publizierte Anekdote von Blumenbergs ehemaligem Assistenten Ferdinand Fellmann an der Universität Giessen, dass er regelmässig den Auftrag bekam, die neuesten Krimis von Carter Brown zu besorgen.

Der heute kam mehr bekannte Autor (mit bürgerlichem Namen: Alan Geoffrey Yates) war damals einer der erfolgreichsten und produktivsten australischen Krimischreiber. Sein Katalog von über 200 Geschichten umfasst auch so vielversprechende Titel wie "Booty for a Babe", "Blonde, Beatiful, and - Blam!", "Cutie wins a Corpse", "The Stripper", "The Sex Clinic", "The Pornbroker" oder "Shamus, Your Slip is Showing". Allein diese kleine Auswahl macht deutlich, dass es sich um eine besonders triviale Variante des nicht zuletzt durch Ian Flemings Bond-Romane popularisierte Genre Sex & Crime handeln muss, an dem sich Brown ganz offensichtlich orientiert. 

Woran lag nun aber die Faszination für Blumenberg. Fellmann, der ehemalige Assistent, meint: "Uns faszinierte er wegen des lockeren Macho-Stils, der die Rollenverteilung der Geschlechter spiegelte, die heute kaum noch jemand nachvollziehen kann." Eine weitere Antwort könnte sein, dass Carter Brown Krimis das Sex & Crime-Genre nicht nur bedienten, sondern zugleich auch parodierten. Es handelt sich also um Meta-Schundromane, was sie intellektuell wieder unterhaltsam und auch goutierbar machen. Tatsächlich soll Carter öfters Anspielungen auf Krimis anderer Autoren wie etwa Raymond Chandler in seinen Texten versteckt haben.

Der Eindruck, dass bei Carter das Trivialgenre in seinen Stereotypen bewusst überboten wird, bestätigt sich bei einer stichprobenartigen Lektüre. Das Lesefrüchtchen hat sich für "Heisse Höschen - Kaltes Blut" (so die frivol-freie deutsche Übersetzung von "The Coffin Bird") entschieden. Bereits der zweite Satz kann eigentlich nicht anders als parodistisch gemeint sein: "Es musste etwa sieben Uhr morgens gewesen sein, als der Hausherr mich eigenhändig hinauswarf, dabei herzlos meine Beteuerungen ignorierend, dass ich die Frau des Hauses nur irrtümlich für eine Nymphomanin unter vielen auf dieser glorreichen Party gehalten hatte."

Damit ist der Hauptdarsteller, der Privatschnüffler Danny Boyd, auch schon vollumfänglich charakterisiert: Ein Playboy, der sich gerne mit leichten Mädchen vergnügt, und nebenher noch ein paar Fälle aufdeckt. Wobei selbst er als Ober-Macho ein gewisses Berufsethos vor sich herträgt, schliesslich wolle er nicht, wie es bei Gelegenheit eines Schäferstündchens heisst, "wie ein Amateur-Lustmolch über sie herfallen". 

Teilweise wirken die Szenen so skurril und surreal, dass sie tatsächlich wie ein Versuch in experimenteller Prosa anmuten, die bewusst Bilder und Metaphern überdehnt. So wird die Situation nach einem Kampf mit einem aufgebrachten Frauenzimmer wie folgt geschildert:

"Ich erhob mich und überblickte ein Feld der Verwüstung. Sonias Gesicht drückte sich immer noch fest in das weisse Couchleder, jetzt allerdings knapp über dem Fussboden, während der hochragende Sitz ihren Rumpf in senkrechter Position hielt. Ihre langen Beine hingen auf der anderen Seite herunter, so dass sie alles in allem etwa die Gestalt eines halb zusammengeklappten Taschenmessers angenommen hatte. Das ergab ein wahrhaft künstlerischen Bild, mit ihrem wohlgerundeten Hinterteil als Mittelpunkt."

Ein tableau vivant à la Picasso... Eine andere Szene schildert, wie die Raumdimensionen schrumpfen, als ein Hüne sich vom Sessel erhebt: "Ein Mann, der bei unserem Eintritt hinter einem wuchtigen Schreibtisch gesessen hatte, erhob sich jetzt, und prompt schrumpfte das Zimmer etwa auf die Hälfte zusammen. [...] Sowei sich die Tür hinter Harris geschlossen hatte, nahm das Zimmer wieder seine normalen Dimensionen an." Die Idee eines dehnbaren Raumes ist durchaus originell - dem Lesefrüchtchen bislang nur aus Boris Vians Schaum der Tage bekannt.