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Montag, 27. Januar 2025

Jeanette Winterson: Frankissstein (2019)

Ein Roman für die Gegenwart, der aktuelle Fragen rund um KI, VR, Transhumanismus, Genderfluidität miteinander verquirlt und an die Franksteingeschichte zurückbindet, der Schauergeschichte um die Erschaffung eines künstlichen Menschen. Eine Idee, die die Autorin bereits in ihrem Roman Das Power-Book von 1998 anwandte, wo sie Ovids Metamorphosen und Virigina Woolfs Orlando mit dem Cyberspace in Verbindung bringt. Orlando wird auch in Frankissstein kurz als "erster Trans-Roman" erwähnt. Und auch dort wechseln sich zwei zeitliche Ebenen, eine historische und eine gegenwärtig-erfundene, alternierend ab und überblenden sich punktuell: Die historische Ebene rund um Mary Shelley, wie die Achtzehnjährige 1816 in Gesellschaft ihres Gemahls Percy Shelley, Lord Byron und dem Arzt John Polidori an einem verregneten Tag oberhalb des Genfer Sees die Geschichte von Frankenstein erfindet, die zwei Jahre später für Aufsehen sorgen wird. Der andere Erzählstrang spielt in einer leicht zukünftigen Gegenwart: Auch hier steht eine Mary Shelley im Zentrum, die sich aber Ry nennt, weil sie sich zum Mann umwandeln liess. Das heisst: Sie nimmt Hormone, verzichtete aber auf einen operativen Eingriff, so dass sie halb Frau, halb Mann ein Zwitterwesen darstellt.

Ry Shelley ist Arzt und versorgt einen gewissen Victor Stein regelmässig mit frischen Leichen für seine Experimente bei Alcor - einer real existierenden Organisation für sogenannte Kryokonservierung. In einem geheimen Labor in Tunnels unterhalb von Manchester konstruiert er intelligente Prothesen und versucht das Gehirn von Jack Good wieder zu reaktivieren, einem genialen Mitarbeiter Alan Turings, der in Bletchley Park während dem Zweiten Weltkrieg an der Dechiffrierung der Enigma beteiligt war (und später Stanley Kubrick für seinen Film Space Odyssey beraten hat.) Victor Stein tritt somit als postmoderner Wiedergänger Frankensteins auf, der mit seinem Monster ebenfalls künstliches (und damit ewiges) Leben schaffen wollte. Zwischen Stein und Ry Shelly entspannt sich eine "Liebesgeschichte" - so auch der Untertitel des Romans. Die Frage, wie Liebe im transhumanen Zeitalter beschaffen sein wird, wenn der Mensch nur noch mit Sexbots interagiert oder lediglich als Gehirn-Upload - als "iHead" - auf einer Cloud existiert, durchzieht den Text leitmotivisch, neben der ebenfalls leitenden Frage nach der Realität. Antworten auf diese Fragen finden sich jedoch keine, auch nicht in der Kontrastierung mit dem romantischen Zeitalter Shelleys, das in der Fiktion zumindest den künstlichen Menschen vorwegnahm.

Zumindest gelangt die Erzählung nicht über das Offensichtlichste hinaus, nämlich, dass der Mensch sich von der Maschine durch sein Seelen- und Gefühlsleben unterscheidet, auch wenn diese Erkenntnis in einem originellen Vergleich mitgeteilt wird: mit dem Herz einerseits als körperliches Organ, andererseits als emotive Metapher, wobei die Konnotation nicht gegensätzlicher sein könnte, wie eine träfe Bemerkung der beiden Mary Shelleys (in Gegenwart und Vergangenheit) belegt: "Jeder Metzger verkauft einem eines. [...] Das, was am Menschen am meisten geschätzt wird, ist das billigste Fleisch: das Herz." Während der Herzmuskel zum Wertlosen gerechnet wird, steht das Herz als Sprachmarke desto höher in Kurs, wie durch eine Wortspielerei demonstriert wird: "Niemand sagt, ich liebe dich von ganzer Niere. Ich liebe dich mit ganzer Leber. Niemand sagt, meine Gallenblase gehört nur dir. Niemand sagt, sie hat mir den Blinddarm gebrochen." Der Mensch lässt sich weder auf seine Körperlichkeit noch allein auf seinen Geist reduzieren: Seine Existenz entfaltet sich just in der Leib-Seele-Dualität, die durch die künstliche Trennung beider Sphären gerade nicht realisieren bzw. technisch simulieren lässt.

Irgendetwas stört das Lesefrüchtchen an diesem Buch, obschon es ein interessantes Thema aufgreift, fachkundig historisches und technisches Wissen mit Fiktion vermischt, mit witzigen bis kalauerhaften Dialogen aufwartet (siehe eben zitierte Kostprobe) und die Dinge immer wieder durch markante Sätze auf den Punkt bringt. Trotzdem wirkt alles allzu glatt und routiniert, als hätte eine Journalistin den Roman verfasst. Die Geschichte bleibt mehrheitlich an der Oberfläche haften und lässt es trotz vieler historischer Bezüge und Zitate an Tiefe vermissen, die gerade bei dieser philosophisch relevanten Thematik einen weniger plakativen Zugang gefordert hätte. Letztlich bleibt von der ohnehin dünnen Story, die sich hauptsächlich in Sachdiskursen und einer fatiganten Obsession für Sexbots erschöpft, auch nicht viel übrig, sie verpufft am Ende ganz einfach. Auch die Charaktere sind allzu platt und stereotyp geraten. Transgender hin oder her. So vielversprechend und aktuell die gewählten Motive sind, literarisch bleibt die Umsetzung weitgehend enttäuschend und gelangt nicht über ein Mittelmass hinaus.