Die
Tigerin – so lautet der Übername von Bichette, einer Halbweltdame,
die berüchtigt dafür ist, dass sie von keinem Mann gezähmt werden
kann. Sie gilt als Raubtier und Man-Eater. Umso verblüffender ist
es deshalb, als es dem Hochstapler Henri Rilcer alias Fec scheinbar
gelingt, sie an seine Seite zu binden, erst recht, weil ihn viele
„schlankweg für einen Trottel“ halten. Das ändert sich auch am
Schluss der Geschichte nicht wirklich, als er längst unter der Erde
liegt. Auch da herrscht nach wie vor „Einmütigkeit“ darin, dass
„Fec eben doch ein Trottel gewesen wäre“.
Der
kurze Roman besticht an vielen Stellen durch derbe Lakonie dieser Art.
Erzählt wird die - wie es im Untertitel heißt - „absonderliche Liebesgeschichte“ von Fec und Bichette, die
beide eine „Abmachung“ treffen, nämlich sich zu „machen“, damit sie
aus Überdruss und Ennui nicht „leer laufen“. So schwören sie
sich gegenseitige Liebe und starten eine Karriere als
Bonnie-und-Clyde-Pärchen. Der Plan scheitert schließlich jedoch
daran, dass sie nicht allein Liebe „machen“, sondern sich dabei
ständig auch etwas „vormachen“. Jedenfalls wächst das
Misstrauen, bis sich ihr Verhältnis gänzlich verwirrt.
Der
Roman gipfelt in einer konfusen Aussprache des schrägen
Gangsterpärchens. Man kennt die Situation aus jeder Beziehung, wenn
beide Partner sich in Vorwürfen hochschaukeln und sich dabei immer
stärker in Konditionalsätze und rückwirkende Erklärungsversuche
verstricken. Fec nennt es „Hinterher-Motivationen“, als er mit
Bichette zu klären versucht, wer aus welchem Grund was „gemacht“
habe, bis er selber mit der Erkenntnis aufgeben muss: „dies ist
jetzt alles so ausgezeichnet verwirrt, daß
es ganz unmöglich wäre, es jemals mit Erfolg zu entwirren“. - Und
so schwirrt am Ende auch des Lesers Kopfs ab so viel kruder
Liebes-Syllogistik.
Definitiv
ein Kultbuch. Vielleicht weniger wegen der – heute ohnehin komplett
harmlosen – Darstellung von Sex, Crime & Violence, mit der Serner damals aber haarscharf an der Zensur vorbeischrammte. Das Buch besticht
vor allem durch die mit Versatzstücken aus dem Gaunerwelsch
gespickten Irrsinns-Dialoge zwischen dem Schwadronör Fec und der
kaltschnäuzigen Bichette. Darin ist es mit Quentin Tarantinos
Kulterfolgsfilm Pulp Fiction vergleichbar.
Walter
Serner machte sich, bevor er sich als Kriminalschriftsteller
versuchte, in Zürich 1916/17 anfänglich auch einen Namen als Dadaist. Ist es
Zufall, ironisches Zitat oder schlichte Überbietung des Dadaismus,
wenn es an einer Stelle im Roman heißt: „Da, da, da, da...“?