Donnerstag, 3. Juli 2025

Oswald Egger: Prosa, Proserpina, Prosa (2004)

Oswald Egger macht es sich und den Lesenden nicht einfach. Er setzt die Sprache nicht nur als gestalterisches Mittel ein, er gestaltet sie vielmehr nach eigenen Gesetzmässigkeiten um. Das führt zu hochkomplexen, mit Fremd-, Fach- und Fantasieworten durchsetzten Sätzen wie diesen: "Talg-Algen wie Smaragdgras-Agavan stäuben silbrig Quirlwirrtel-Milch über Risp-Feldritzen Dornginsterhecken, und Teer-Regenberge Horngnissen ..." Es stellt sich sofort ein Pastior-Effekt ein: Man meint etwas zu verstehen, doch letztlich entzieht sich alles einem verstehbaren Sinn, wird zur reinen Lautpoesie, im Extremfall etwa: "Unvirgeln sirrende Quisseln in Syzygie szintillierend, 'zzyzx'-Elritzen". Im Unterschied zu Oskar Pastior, wo häufig eine Methode oder eine Versuchsanordnung das Spiel mit der Sprache bestimmt, scheint sich Egger viel stärker noch am Sprachklang zu orientieren und von ihm leiten zu lassen. So kommen seine Sätze durch tonale Assonanzen und Lautähnlichkeiten zustande. So sind Quissel (frömmelnde Person), Syzygie (Stellung von Sonne, Mond und Erde in einer Linie), szintillieren (funkeln, flimmern) und Elritze (kleiner Karpfenfisch) tatsächlich existierende Wörter, sie stehen bei Egger aber weniger in einem Sinn- als in einem Klangzusammenhang, verbunden durch den Vokal, der auch in "sirren" erklingt und genau das besagt: einen feinen, hell klingenden Ton erzeugen. Dass unter "Syzygie" in der antiken Metrik ausserdem die Verbindung von zwei Versfüssen verstanden wurde, ist eine zusätzliche Pointe, die den Satz von einer möglichen Weltreferenz endgültig ins rein Sprachliche wendet.

So baut sich Egger aus dem Fremdwörterbuch deutscher Sprache ein ganz eigenes Sprachuniversum. Im Fall von Prosa, Proserpina, Prosa hat er sich bevorzugt bei botanischem Vokabular bedient, was sein Text zu einem entfernten experimentellen Verwandten von Vergils Georgica macht, dem grossen Poem über den Ackerbau. Nicht zufällig figuriert im Titel von Eggers Werk die mythologische Gestalt der Proserpina, der Tochter von Ceres, der römischen Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit. Ihr Name leitet sich ab vom lateinischen Verb 'proserpere', was 'hervorkriechen' bedeutet und von den Römern mit dem aus der Erde keimendem Getreide assoziiert wurde. Auch die im Titel ebenfalls stehende 'Prosa' lässt sich etymologisch auf den Ackerbau zurückführen. Mit Agamben lässt sich die Prosa als fortlaufende Kehre (lat. versus), also als Verlängerungen des lyrischen Verses begreifen, als pro-versus (oder kurz: Prosa). Der lateinische Begriff versus meint auch die Ackerfurche, die der Bauer zieht - und zwar mit seinem Werkzeug, dem Pflug oder der Egge, die prominent auch im Namen des Autors steckt: Egger. Nomen est omen, weshalb der Egger zwangsläufig Prosaist, d.h. Furchenzieher und Ackerbauer sein muss. Was uns der Autor folglich ausbreitet (oder was er vielmehr einfährt) ist eine reiche Ernte, eine Sprachernte. Sein Text ist nicht anderes als ein Füllhorn, eine Cornucopia, ein mit Blumen und Früchten im Überfluss gefüllter Trichter, der symbolisch für Freigiebigkeit, Reichtum und Üppigkeit steht. Sein poetisches Prinzip ist demnach die Luxuria, ein verschwenderischer Luxus, ausgebreitet in Sprachgirlanden und Wortfeldern, der so reichhaltig ist, dass er in dieser Überfülle kaum rezipierbar ist.

Es ist schon ziemlich beeindruckend, was Egger alles mit der Sprache anzustellen versteht. Aber irgendwie auch hochgradig manieriert und gekünstelt. Bei aller Bewunderung legt man das Buch wohl früher als später aus der Hand und denkt sich: Was soll's? Man könnte jeden Fachausdruck im Wörterbuch nachschlagen und hätte doch nichts verstanden, denn es gilt die Devise: "Sinnen der Ingestion ('das weiss ich nicht'), Balloten, siebend Unsinne." Im Unterschied zu anderen Unsinnspoesien fehlt es Eggers Unternehmen jedoch entschieden an Witz. Alles kommt gravitätisch, bedeutungsschwanger und furchtbar eitel daher. Als wolle der Text nichts anderes, als permanent seine literarische Distinguiertheit ausstellen. Vieles gerinnt deshalb zur poetischen Pose, zum Gehabe. Der einzige leicht verständliche Satz im ganzen Buch lautet: "Wir wollen uns betrinken, wie die Tollen, und nachts nicht schlafen." Na also, das wäre allemal eine Alternative.

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