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Sonntag, 25. April 2021

Dror Mishani: Drei (2018)

Das ist er also, der Roman, der Finn Canonica solche Angst gemacht hat, wie er in Das Magazin vom 10. April 2021 schreibt: "Ich las das Buch auf einer Reise und musste nachts aus einem Hotelzimmer in Georgien meine Frau anrufen, um ihr zu sagen, dass ich nicht schlafen kann vor Angst." Hoppla. Doch weshalb diese Angst? Weil "das Böse Einzug [hält] in die Geschichte, ohne Ursache, es gibt keine Erklärung". Es ist, um eine Formulierung von Hannah Arendt zu entfremden, also die Banalität des Bösen, die hier angeblich Schrecken einjagt: Es ist das Unbegreifliche, das Canonica ergreift.

Aber worum dreht sich die Geschichte überhaupt? Es geht um Gil, einen Rechtsanwalt in mittelerm Alter, verheiratet mit einer Frau aus vermögender Familie und zwei Kindern, der ein Doppelleben führt und mit labilen Frauen anbandelt, um sie im geeigneten Moment grundlos abzumurksen. Ein Psychopath, ganz offensichtlich. Der Trick des Romans besteht aber darin, die Geschichte aus der Perspektive dreier Frauen zu erzählen. (Daher der Titel Drei, der sich auch auf die Hausnummer der leerstehenden Wohnung beziehen kann, wohin Gil seine Opfer lockt.) Es ist die bittere Pointe des Romans, dass hier narrativ über weite Strecken psychologisch komplexe Frauenfiguren mit ihren Nöten, Sorgen und Alltagsproblemen aufgebaut werden, nur um sie mit wenigen Zeilen wieder auszulöschen.

Wobei - Achtung Spoiler! - die dritte Frau eine verdeckte Ermittlerin ist, die den Mörder schliesslich zu fassen kriegt, ohne jedoch Erklärungen zu erhalten, was eben Finn Canonica so nachhaltig verstört hat: "'Aber warum hat er das getan? Hat er Ihnen erklärt, warum?', fragte Ronen, doch auf seine Frage konnte sie ihm keine Antwort geben, da Gil zu dem Zeitpunkt noch immer alles abstritt." Der Roman endet dann auch, ohne Erklärung und ohne Geständnis. Was bleibt ist eine leicht romantisierende Erinnerung der Ermittlerin an ihre Begegnungen mit Gil, dessen Faszination sie sich nicht ganz entziehen kann und ihm so fast auch zum Opfer gefallen wäre, weil sie ein gefährliches Spiel mit ihm einging. Insofern tatsächlich ein 'teuflischer' Charakter, wie Canonica, schreibt, zumal die Grausamkeit hinter einer einnehmenden Oberfläche lauert... 

Aber wirklich zum fürchten? Eher nicht. Dafür ist der Roman doch zu platt, zu glatt und geschliffen, zu schablonenhaft und zu vorhersehbar und letztlich mit einer poetischen Gerechtigkeit ausgestattet, welche die Gemüter besänftigen will. Nicht allein, dass Gil dingfest gemacht wird, die toten Seelen der zwei ermordeten Frauen wachen am Schluss über den Schlaf der Polizistin. Und so mündet der Thriller letztlich in barem Kitsch, wie überhaupt, die gesamte übersinnliche Ebene, die sich ungefähr in der Hälfte des Romans einschleicht, nicht immer frei vom Kitschverdacht ist. 

Bleibt letztlich nur die offene Frage, auf die nicht einmal die Geister eine Antwort haben: Weshalb? Weshalb nutzt Gil die Frauen erst über längere Zeit emotional aus, um sie schliesslich zu beseitigen? Ein diskreter psychologischer Hinweis bietet der Roman dennoch: Gil leidet offenbar unter einem ausgeprägten Waschzwang, auch scheint er einen Sauberkeitsfimmel zu besitzen, stellt er doch Emilia als Reinigungskraft für seine leerstehende Wohnung ein. Zwangsneurotiker können ihre Impulse schlecht unterdrücken, das ist die einzige Erklärung. So lässt sich auch die Beseitigung der Frauen als erweiterter, pervertierter Auswuchs seiner Zwangshandlung verstehen: der Mord als ultimative Bereinigung. Und so wird auch verständlich, weshalb Gil als Saubermann und eben nicht als Schurke auftritt.