Mit
diesem Roman entfernt sich Günter Seuren von Dieter Wellershoffs
Kölner Schule des Neuen Realismus, der er anfänglich zugeordnet
wurde. Der Abdecker – in der Neuauflage von 1983 nur noch
Abdecker – ist ein Psychothriller, in dem Wirklichkeit und
Wahn zusehends verwischen. Ein deutsches Konkubinats-Pärchen, das
mit einer Aufenthaltsbewilligung B nach Zürich kommt, weil sie eine
wichtige Anstellung als Fliegenforscherin an der ETH erhielt, gelangt
bei zwei alten (und – lustig – reichlich bärtigen) Schwestern
zur Untermiete: Der 78jährigen Frau Bjarsch, die mit einem
einflussreichen „Boss“ verheiratet war, und der 74jährigen Elly,
die in dem asymmetrischen Geschwisterverhältnis als eine Art
Dienstmagd agiert.
Beide
leben im paranoiden Irrglauben, dass sie nächtens von „Australiern“
(weshalb ausgerechnet Australier?) heimgesucht werden, einer „Rifze“
und ihrem „Schwanz“, welche das Haus regelmässig verunstalten
und Unzucht treiben sollen. Der zeithistorische Hintergrund, der
allerdings nur vorsichtig angetupft wird, markiert der damalige
Diskurs zur „Überfremdung“ in der Schweiz. Stehen die
Aus-tralier vielleicht für den Aus-länder schlechthin? Wie auch
immer, jedenfalls passt sich das deutsche Pärchen aus Furcht, die
eigene Aufenthaltsbewilligung zu verlieren (die durch das in Zürich
in den 1970er Jahren noch unerlaubte Konkubinat zusätzlich gefährdet
ist), den Wahnvorstellungen der Schwestern an, auch wenn sie mehrmals
versuchen diese zur Raison zu rufen.
Mehr
noch haben sie sogar die Schwestern im Verdacht, selbst die Spuren
des nächtlichen Treibens zu legen, das sie anderntags den
imaginierten Australieren unterschieben. Doch je mehr sie den senilen
Schwestern die Realität vor Augen führen wollen, desto stärker
richtet sich deren aggressive Paranoia gegen sie selbst. Sie fühlen
sich beobachtet, bedrängt und nicht zuletzt auch bedroht und behext
– einen längerer Exkurs handelt über die sogenannte Lachsnerei:
über magischen Schadenszauber. Auf diese Weise zieht sich das
Wahnsystem immer enger um das Pärchen zusammen, die aufgrund ihrer
sozialen Situation zwar tapfer ausharren, obwohl die Wohnumstände längst
nicht mehr auszuhalten sind.
Durch
die diffusive Erzählweise wird der Leser selbst in permanenter Unsicherheit gelassen, was von den geschilderten Ereignissen wirklich
vorgefallen, dem kranken Hirn der Schwestern entsprungen oder reine
Erfindung des Erzählers ist. Erzählt wird aus der Perspektive des
Mannes, von dem man weder weiß wie er heißt noch was er arbeitet,
oft unmarkiert durchmischt mit personaler Rollenprosa, Dialogen, Nachrichten und anderen Informationspassagen, so dass eigentlich nie
ganz klar ist, wessen Stimme man wie vermittelt vernimmt.
Ohnehin
erweist sich das erzählende Ich als äußerst unzuverlässige, am
Ende sogar dubiose Gestalt, die (trotz oder gerade wegen vehementer
Beteuerung des Gegenteils: „ich habe nichts, gar nichts mit der
Sache zu tun“) nicht frei vom Verdacht bleibt, am brutalen Überfall
auf die Schwestern mitbeteiligt zu sein, bei dem sie blutüberströmt
in ihrem Haus aufgefunden werden. Immerhin hat sich das entnervte
Pärchen, das im Besitz einer Handfeuerwaffe ist, den Tod der
Schwestern insgeheim mehrfach gewünscht und profitiert letztlich von
ihrer dauerhaften Unterbringung im Pflegeheim: Sie richten sich
heimisch im Haus der Schwestern ein.
Auch
der Titel des Romans bleibt diesbezüglich andeutungsreich. Abdecker
– so nannte man früher die Person, die für die Beseitigung von
Tierkadavern zuständig war. Ganz zum Schluss taucht der „Abdecker“
auf und schläfert gemeinsam mit dem Erzähler den Hund der
Schwestern ein. Daneben eröffnet der Text noch eine übertragene
Lesart des Begriffs, wenn es ebenfalls gegen Ende heißt: „keine
Blöße zeigen, zudecken,
alles zudecken, so kommen wir durch“. Das war lange Zeit die vorsichtige (Zurück-)Haltung, um weiterhin unbemerkt bei den debilen Schwestern zu wohnen.
Doch offenbar war das Zudecken auf die Dauer nicht ertragbar. Da
wurde die Strategie geändert und – endlich abgedeckt.