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Montag, 29. Januar 2024

Kim Newman: Dracula Cha-Cha-Cha (1998)

Der scharlachrote Henker (Il Boia Scarlatto) geht um in Rom und hat es ausschliesslich auf Vampirälteste abgesehen, die er auf offener Strasse massakriert. Es ist Nachkriegszeit, das Dritte Reich ist zusammengebrochen, und Dracula verschanzt sich im Palazzo Otranto – die Anspielung auf Horace Walpoles Gruselklassiker Schloss Otranto ist gewollt. Dort bereitet er, der sich nun il principe nennt, die Hochzeit mit der moldawischen Prinzessin Asa Vajda vor, um im Osten eine neue mächtige Vampirdynastie zu gründen. Das ruft nicht nur den englischen Geheimdienst des Diogenes Clubs auf den Plan, Commander Bond höchstpersönlich setzt sich Dracula auf die Fersen, sondern auch seine uralte Erzfeindin Kate Reed, die wir schon aus den Vorgänger-Romanen kennen. Sie ist selbst eine Vampirin, verabscheut als kultivierter Blutsauger jedoch das alte «blutrünstige Dreckschwein».

Dracula Cha-cha-cha ist der dritte und letzte Teil von Kim Newmans vielgepriesener Neuinterpretation des Dracula-Stoffes, denn – Achtung Spoiler – der Untote stirbt diesmal tatsächlich und sein Leichnam löst sich im letzten Sonnenlicht in ein Häufchen Asche auf. Zur Erinnerung: Der Witz von Newmans Romanwelt besteht darin, dass er Dracula und den Vampirismus nicht als Fiktion behandelt, sondern in der Zeitgeschichte implementiert. Van Helsing sei es damals nicht gelungen, Dracula unschädlich zu machen, mit der Konsequenz, dass er sein Reich weiter ausdehnte und seither Menschen und Vampire – in verschiedenen Abhängigkeitsgraden und Verwandlungsstadien – neben- und miteinander koexistieren. Also exakt das Gegenteil von Bram Stokers Vorlage, die an einer Stelle ironischer Weise zur kontrafaktischen Geschichtsschreibung erklärt wird. Der Vampirismus ist längst salonfähig geworden, da sich das Gros der Vampire zivilisiert hat – und in diesem Buch nun vielmehr von einer schwarzmagischen Macht bedroht werden: der auch aus Dario Argentos Filmtrilogie Le Tre Madri bekannten Mater Lachrymarum.

Der Anspielungsreichtum auf Horrorklassiker ist auch diesmal wieder immens. Das Staraufgebot ebenso. Von real existierenden Personen bis zu fiktionalen Charakteren tummelt sich unterschiedslos alles in Newmans Roman: Die aus den Tintin-Comics bekannte Bianca Castafiore tritt ebenso auf wie Irma Vep, Casanova in Frauengestalt, die Addams Family, Pasolini, Gore Vidal, Charles de Gaulle und und und – vor allem Orson Welles, mit dem Newman eine herrliche Parodie gelungen ist – «Er war so gewaltig. Sein Halstuch hätte den meisten Leuten als Tischtuch für einen Beistelltisch dienen können» – und ihm ausserdem eine besondere Rolle zugedacht hat … doch stopp, allzu viel sei nun doch wieder nicht verraten. Da der Schauplatz diesmal in Rom liegt, weht ein Hauch von Da Vinci Code inklusive Vatikanbesuch durch die Erzählung: Die Vampire sind einem der ältesten Rätsel der Stadt auf der Spur, der bereits erwähnten Hexe Mater Lachrymarum. Der Showdown spielt sich, wie könnte es anders sein, dann natürlich im Kolosseum ab.