Schauplatz ist die Paris Weltausstellung von 1931, wo nicht nur wilde Tiere, sondern auch 'wilde Menschen' in eigens dafür gebauten Anlagen von der schaulustigen Bevölkerung zu begaffen waren. Aus verschiedenen afrikanischen sowie pazifischen Kolonien wurden Einheimische rekrutiert und mussten, entgegen ihren Sitten, spärlich bekleidet vor den Ausstellungsbesuchern herumtoben und "zähnefletschend einen schrecklichen Schrei ausstossen" (24) mussten, um den Eindruck zu erwecken, es handle sich um gefährliche Kannibalen. Was einen authentischen Einblick vermitteln sollte, war vielmehr die Inszenierung von realitätsfremden Klischees. Und überdies eine heute kaum mehr fassbare Demonstration kolonialistischer Unterdrückung: Menschen, die wie Tiere eingesperrt und vorgeführt werden.
Erzählt wird diese 'unerhörte Begebenheit' aus den Erinnerungen des 75jährigen Kanaken Gocéné aus Neukaledonien. Aus der Rückschau von einem halben Jahrhundert berichtet er jungen kanakischen Freiheitskämpfern von seiner damals unfreiwilligen 'Reise' nach Paris und den Abenteuern, die er dort durchstehen musste. Anfang Januar 1931 wird er mit einer Gruppe anderer junger Männer und Frauen zwangsrekrutiert und nach Marseille verfrachtet. Darunter befindet sich auch seine Verlobte Minoé, deren Vater, dem "Häuptling Waito von Canala" (30), er versprochen hat, sie nicht aus den Augen zu lassen. Doch dann geschieht das Unerwartete: Im Ausstellungsdorf verenden auf einen Schlag alle Krokodile, weshalb die Organisatoren raschen Ersatz suchen. Der Zirkus Höffner in Frankfurt am Main zeigt sich bereit, neue Krokodile zu liefern, wenn sie im Gegenzug dreissig 'Menschenfresser' für ihre Tournee bis Ende September leihen dürfen.
Der Deal wird ohne Rücksprache mit den Betroffenen abgeschlossen, die unter falschem Vorwand in einen Transportwagen gelockt werden - unter ihnen auch Minoé. Als Gocéné von dieser Entführung entfernt, büxt er zusammen mit Minoés Cousin Badimoin aus, um auf eigene Faust in Paris nach dem Verbleib der Deportierten zu suchen. Sie irren durch die Grossstadt, in der sie sich kaum auskennen und viel Unbekanntes entdecken, lieber lange Märsche zu Fuss in Kauf nehmen als sich nochmals in die Metro zu wagen, aber auch bemerken, dass die Menschen ihnen ganz anders und weniger despektierlich begegnen als die Besucher der Weltausstellung, wo sie bloss als Attraktion herhalten müssen: "Man hat uns hinter Gitter gesetzt, wie wilde Tiere, zwischen Löwengruben und Krokodilsteich ... Jeder behandelt uns als Menschenfresser, die Kinder werfen uns Erdnüsse hin" (88).
Als sie schliesslich beim Bahnhof ankommen, ist der Zug Richtung Deutschland schon abgefahren ... Gocéné und Badimoin konfrontieren daraufhin den Leiter der Weltausstellung und verlangen, den Tauschhandel mit Frankfurt sofort zu stoppen und für bessere Bedingungen im Ausstellungsdorf zu sorgen. Während der Direktor Zugeständnisse vorschützt, rückt bereits die heimlich verständigte Polizei an. Beim Fluchtversuch wird Badimoin durch einen Schuss tödlich verwundet und auch Gocéné sieht bereits den Lauf einer Pistole auf sich gerichtet. Da geht ein Mann dazwischen und rettet ihm durch diesen Akt zivilen Ungehorsams das Leben. Dafür kassiert er drei Monate Gefängnis, während Gocéné ganze 15 Monate inhaftiert bleibt und erst in seine Heimat zurückkehren kann, nachdem die Weltausstellung beendet und seine Leidensgenossen längst schon heimgekehrt sind - auch Minoé, die ihre Frankfurter Episode gut überstanden hat und schliesslich Gocénés Frau wird.
Daeninckx verschwindet als Autor ganz hinter der Erzählinstanz Gocéné, die ohne moralisierenden oder gar anklägerischen Unterton ihre Geschichte wiedergibt. Das ist auch gar nicht nötig, die Ereignisse allein sind perhorreszierend genug. Anlass der Erzählung bildet auch nicht die Frage des Unrechts, sondern die Verwunderung der Freiheitskämpfer, dass Gocéné mit einem weissen Mann unterwegs ist, der natürlich niemand anders als sein ehemaliger Retter ist, Francis Caroz, der ihn nach langen Jahren in Canala besuchen kommt. Die jungen Widerstandskämpfer horchen ungläubig, wie es dazu kommen konnte, dass ein Weisser wegen eines Kanaken verurteilt wurde, während bereits Polizeihelikopter über ihnen kreisen. Als Gocéné seine Geschichte beendet hat, macht er sich weiter auf den Weg, doch schon sind erste Schüsse zu hören. Da erinnert sich Gocéné, was Caroz ihm einst auf die Frage zur Antwort gab, weshalb er ihm beigestanden war - "Ich glaube, Fragen stellt man sich früher ... In so einem Moment wären sie das sicherste Mittel, gar nichts zu tun" (94) - und kehrt um.
Didier Daeninckx: Reise eines Menschenfressers nach Paris. Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer. Berlin: Klaus Wagenbach, 2001.