Allein vom literarischen Standpunkt aus verdient der Roman diese Geringschätzung nicht. Handelt es sich doch um ein Paradebeispiel expressionistischer Erzählweise. Die pulsierende, mithin dämonisierte Metropole, der dystopische Futurismus mit Maschinen und Fabriken, die exaltierten, zuweilen psychisch zerrissenen Charaktere, das Schrille und Grelle, die ekstatischen Drogen- und Traumbilder sowie ein Hauch von Okkultismus - das alles sind nicht nur typische Merkmale expressionistischer Prosa, sie bestimmen auch die Atmosphäre dieses rasanten, dabei motivisch komplexen, indes nicht restlos schlüssigen Werks. In der allegorischen Dicht, aber auch in der Personifizierung der dämonischen Stadt erinnert der Roman an Meyrinks Golem, von dem sich die Autorin wohl hat inspirieren lassen, nicht zuletzt für die Figur eines künstlichen, vom Schwarzmagier Rotwang geschaffenen Menschen, den es gleichsam aus dem jüdischen Ghetto nach Metropolis verschlagen hat.
Der Roman lebt von Antithesen und wirkt deshalb streckenweise plakativ. Da ist der Protagonist Freder, ein junger idealistischer Mann, der gegen seinen Vater Joh Fredersen rebelliert, den allmächtigen und unbarmherzigen Herrscher über Metropolis im "Neuen Turm Babel", für den die Menschen bloss Maschinenfutter sind, weshalb er sie durch den perfekten "Maschinenmenschen" (26) zu substituieren hofft. Die Elite verkehrt im "Haus der Söhne", während die Working Poor, die "Blauhemden", in der unterirdischen Arbeiterstadt hausen und sich in der "Totenstadt" zum Klassenkampf zusammenfinden. Es gibt des Vergnügungstempel Yoshiwara auf der einen, der Dom auf der anderen Seite mit dem Mönch Desertus, der wiederum eine Gegenfigur zum Magier Rotwang darstellt. Und schliesslich ist da noch die gütige Maria und ihr unheimliches Ebenbild, die von Rotwang geschaffene Roboterfrau, die er einmal "Parodie" dann wieder "Futura" nennt. Tatsächlich ist sie beides: Eine Nachäffung des Menschen und möglicherweise doch seine Zukunft.
Die Handlung ist aufs Ganze besehen ebenso einfach wie diffus im Detail. Freder verliebt sich in die richtige Maria und solidarisiert sich mit den Blauhemden, die Maria zu einem friedlichen Klassenkampf führen will. Sein Vater hingegen zettelt mit Hilfe von Rotwang hinterrücks eine blutige Revolution an, um seinen Sohn zur Raison zu bringen: "Die Stadt soll untergehen, Freder, damit du sie wieder aufbaust." (153) Die falsche, künstliche Automaten-Maria hetzt die Massen zum Sturm auf die Maschinen von Metropolis auf, die - als eine Art Gott-Maschinen geschildert - heiss- und sich schliesslich zu Tode laufen, so dass Chaos und eine grosse Katastrophe ausbricht. Es herrscht Endzeitstimmung, die Harbou in apokalyptischen Bildern - Geisselung, Kreuzigung, Hexenverbrennung - und in einem ewig ausgedehnten Showdown heraufzuschwören versteht, bis zu guter Letzt die grosse Versöhnung stattfindet und der Weg für einen Neubeginn geebnet ist.
So weit, so hollywoodlike. Antagonismen, grosser Konflikt, Happy End. Kompliziert wird es hingegen, sobald die hintergründigen Motive ins Spiel kommen. Joh Fredersen, der Herr über Metropolis, hat seine Frau Hel bei der Geburt des gemeinsamen Sohns Freder verloren (sie trägt nicht von ungefähr den mythologischen Namen der Herrscherin übers Totenreich). Zuvor war sie die Geliebte von Rotwang, der den doppelten Verlust - zunächst durch den Weggang von ihm, dann durch ihren Tod - nie verkraftet hat und heimlich auf Rache sinnt. Aus diesem Grund schuf er eine künstliche Frau, die er aber - im Auftrag von Fredersen - optisch der Klassenkämpferin Maria nachbildet, um die Arbeiter aufzuhetzen. Bevor es dazu kommt, warnt er die richtige Maria, um Fredersens Plan zu vereiteln, doch dieser belauscht das Komplott und erwürgt seinen heimlichen Rivalen - scheinbar. Als Metropolis bereits in Trümmern liegt, wacht er überraschend wieder auf, wähnt sich im Jenseits und will zu seiner geliebten Hel, die er in Maria wiedererkennt, der er bis auf die Domturmspitze nachstellt.
Auch die aufgebrachte Masse ist, nachdem sie das Debakel ihres Maschinensturms erkannt hat, hinter Maria her, kann aber nicht zwischen der echten und der künstlichen Maria, ihrer Parodie, unterscheiden, die letztlich den Flammen zum Opfer fällt, während die echte Maria von Freder höchstpersönlich aus den Fängen Rotwangs gerettet werden kann - das alles vor den Augen seines verzweifelten Vaters, der um das Lebens seines Sohns bangte und sich letztlich versöhnlich zeigt und seine Rigidität ablegt ...
Der Autorin wurde - neben einem zu simplen Umgang mit der sozialen Frage - die naive Sprache und die plakative Darstellung vorgeworfen. Nicht ganz zu recht, wenn man sie als zeittypische, weitgehend dem Expressionismus geschuldete Ausdrucksformen versteht. Wenn Vieles an dem Roman tatsächlich holzschnittartig anmutet, dann doch genau in dem Sinne wie der grobe Holzschnitt die dominierende künstlerische Ausdrucksform des Expressionismus war, als dessen literarisches Pendant Harbous geraffte Sprachbilder von suggestiver Eindringlichkeit gelten können.
So pathosbeladen gewisse Szenen, insbesondere der schier endlose Showdown, auch daherkommen, so bieder die vertretene Moral und so aufgesetzt die theologisch-mythologische Verbrämung auch anmuten mag, der inzwischen wohl nicht zufällig mehrfach aufgelegte Roman besitzt auch lohnenswerte Momente, die zu fesseln vermögen und ansatzweise bereits dem späteren Cyberpunk den Weg ebnen. Allem voran die dystopische Vision einer rein funktionalen, aber inhumanen Welt, unter deren glänzender Oberfläche ein rebellisches Proletariat haust. Ebenso die Schilderung der Paternoster-Maschinen in ihrer kruden Mischung zwischen Technokratie und Mythologie. Und nicht zuletzt die protopsychedelische Szenerie im Club Yoshiwara, wo um eine schwingende und klingende Mammutmuschel die Droge Maohee konsumiert wird und sich alle dem kollektiven Rauscherlebnis hingegen, hat visionären Charakter. Es sind mächtige Bilder, die man so schnell nicht mehr vergisst und die cineastische Qualität dieses, trotz allen kritisierbaren Mängeln, an dramaturgischen Effekten nicht armen Romans nachhaltig unterstreichen.
Thea von Harbou: Metropolis. Roman. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Herbert W. Franke. Frankfurt a.M./Berlin: Ullstein, 1984.en