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Dienstag, 27. Juni 2017

Marcel Schwob: Das Buch Monelle (1894)

Das Livre de Monelle gehört neben den Vies imaginaires (1896) zu den bekanntesten Werken des dem Symbolismus nahe stehenden französischen Schriftstellers und Übersetzers Marcel Schwob. Die Bibel kennt viele Bücher: Buch Mose, Buch Josua, Buch Esra, Buch Esther, Buch Ruth etc. Schwob setzt mit dem Livre de Monelle ein weiteres, apokryphes dazu. Es ist kein kohärentes Werk, sondern wie die biblischen Bücher eine Ansammlung von Sentenzen, Gleichnissen, Parabeln, allegorischen Geschichten, Träumen und Visionen, oft dunkel und rätselhaft – der Auslegung bedürftig.

Im Unterschied zu den biblischen Büchern wird im Buch Monelle jedoch keine Heilsgeschichte verkündet. Was Monelle, die in einer Art Prolog direkt zu ihrem Geliebten spricht, verkündet, ist ein dekadentes Evangelium der reinen Präsenz, der Augenblicksversessenheit, die keine dauerhaften Werte duldet. Erinnerung, Wahrheit und Arbeit sind Tugenden, die sie kategorisch verwirft. Dafür propagiert sie eine Kultur der Flüchtigkeit, des Vergessens und der Lüge. Schöpfung geht nur einher mit Zerstörung, sie ist kein rein kreativer, vielmehr ein destruktiver Zustand. So wird im Stil einer Predigt oder Unterweisung zugleich auch eine typische Ästhetik des Fin de siècle entworfen.

Wer Monelle aber ist, das weiss man nicht. Mal erscheint sie als Geliebte, dann als Prostiuierte, dann als Anführerin kleiner Kinder, die nicht erwachsen werden wollen. Sie ist Kindfrau und Femme fatale, Priesterin und Verführerin, Heilige und Hure zugleich. Peter Krumme vermutet in seinem Nachwort, es handle sich um die personifizierte Literatur selbst. Das scheint ein wenig hoch gegriffen. Und da das Buch neu in der Ullstein-Reihe „Die Frau in der Literatur“ aufgelegt wurde, ist es eigentlich naheliegender, in Monelle den Archetypus des Weiblichen zu sehen. Sie ist das Urweib par exellence, während ihre Schwestern, die in den märchenhaften Geschichten des Mittelteils porträtiert werden, verschiedene feminine Phänotypen darstellen.

Sie werden als die Egoistin, die Wollüstige, die Perverse, die Betrogene, die Wilde, die Getreue, die Auserwählte, die Träumerin, die Erhörte, die Gefühllose und die Geopferte vorgestellt. Morelle selbst aber ist die ewig Flüchtige (man denke an Prousts La Fugitive), diejenige, die sich dem Moment ebenso sehr hingibt, wie sie sich einer festen Bindung entzieht. (Möglich, dass sich ihr Name von gr. mónos herleitet, gleichbedeutend mit allein als auch einzigartig.) Wie dem auch sei - Monelle als das Weibliche schlechthin werden die Herren der Schöpfung niemals begreifen: „denn wenige Männer haben mich gesehen, und keiner hat mich verstanden. Der Ton des Buchs ist ebenso enigmatisch wie prophetisch. Es ist weniger eine Erzählung als ein poème en prose, ein Hohelied auf den Erotisme.