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Donnerstag, 12. Juni 2025

Walter Satterthwait: Eskapaden (1995)

Ein ideales Buch für ein verregnetes Wochenende: Leichte Lektüre, spannend, unterhaltsam und, um dem Ganzen den richtigen Pfiff zu verleihen, mit zwei historischen Cameo-Auftritten garniert. Der legendäre Entfesselungskünstler Harry Houdini und Sir Arthur Conan Doyle, der Schöpfer des nicht weniger legendären Privatdetektivs Sherlock Holmes, treffen aufeinander. Beide haben sich im realen Leben tatsächlich gekannt, die Freundschaft brach dann aber wegen Doyles Hang zum Spiritismus auseinander. Erstaunlich: Den Scharfsinn seines Ermittlers schien Doyle selbst mit Leichtgläubigkeit aufzuwiegen. Er liess sich durch dilettantische Elfenfotos hinters Licht führen und glaubte an übernatürliche Fähigkeiten. Auch seinem Freund Houdini attestierte er geheime Kräfte, da er sich seine Befreiungstricks nicht anders als durch Entmaterialisierung erklären konnte.

Vor diesem historischen Hintergrund ist der Roman angesiedelt, der zwar als Kriminalroman angelegt ist, aber vor allem durch sein skurriles Figurenpersonal besticht, zu dem neben Doyle und Houdini u.a. auch dem Freudianer Dr. Auerbach und des kommunistischen Lord Purleigh sowie seiner nymphoman veranlagter Tochter Cecily besteht. Auf dessen Anwesen Maplewhite in Devon (England), wo angeblich der Geist eines verstorbenen Vorfahren sein Unwesen treibt, soll im Jahr 1921 eine Séance mit einem von Conan Doyle ausgewählten Medium stattfinden, das Houdini des Betrugs überführen will. Er soll den Erweis erbringen, dass Séancen nichts anderes als Hokuspokus sind, bei denen mit ähnlichen Tricks gearbeitet wird wie in zweitklassigen Zaubershows: "Timing [...] Irreführung. Und natürlich präparierte Requisiten." (333) Doch zu dieser Beweisführung kommt es gar nicht, weil es vorher gilt, einen Mordfall aufzuklären, der - wie sich herausstellt - mit ähnlichen Täuschungsmanövern inszeniert wurde. Rasch geraten die Dinge auf dem englischen Schloss ausser Kontrolle und es kommt zu einer klassischen Whodunnit-Situation, wie man sie auch jedem Agatha-Christie-Krimi kennt: In einer geschlossenen Gesellschaft bewegt sich inkognito ein Mörder, den es zu überführen gilt, bevor er erneut zuschlagen kann. 

Komplizierend kommt hinzu, dass Houdini von einem Rivalen namens Chin Soo, dessen Identität unbekannt ist, da er ständig maskiert auftritt, verfolgt wird und deshalb den Aufenthalt auf dem vermeintlichen Gespensterschloss nutzen will, um zeitweilig unterzutauchen. Das ist jedenfalls der Plan des amerikanischen Pinkerton-Detektivs Phil Beaumont, der Houdini, den er fortwährend ironisch als der "grosse Meister" apostrophiert, begleitet, getarnt als sein Privatsekretär. Doch als der erste Schuss fällt, muss er sein Inkognito ablegen und die Ermittlungen beginnen, in die sich auch Conan Doyle und Houdini einmischen. Als dann noch der Shakespeare-dauerzitierende Inspektor Marsh auftritt, verkommen die Ermittlungen endgültig zu einem Schaulaufen. Houdini geht mit dem Inspektor eine Wette ein, dass er den Fall vorher aufklären werde, was ihm aufgrund seiner Vertrautheit mit Zaubertricks, Täuschungsmanövern und doppelten Böden auch gelingt. Er entdeckt ein Geheimgangsystem im Schloss, das nicht nur den nächtlichen Spuk, sondern auch den Mordhergang erklärt. Der unterlegene Inspektor entpuppt sich schliesslich als Chin Soo, der seinen Konkurrenten, wenn er ihm schon zaubertechnisch unterlegen ist, wenigstens detektivisch schlagen wollte.

Der Titel "Eskapaden" referiert somit mindestens auf Zweierlei: Zum einen auf den Befreiungs- und Entfesselungskünstler Houdini und die durch entdeckten geheimen Kammern, den den Mördern als eine Art Escape Room dienten, zum anderen auf die sich überstürzende Ereignisse, in die auch  erotische  des e. Erzählt werden diese Eskapaden durch eine doppelte Perspektive: Aus Sicht von Jane Turner  und Phil Beaumont, die den Erzählstil à l'anglaise bzw. à l'américaine verkörpern. Beaumont hat das Format eines Hard-Boiled-Ermittlers aus der Feder von Raymond Chandler: Neben einer gehörigen Portion Zynismus und einem hohen Attraktionsgrad für Frauen verfügt er zudem über die nötige Durchschlagskraft. Als er von dem Poseur und Angeber Sir David zum Boxkampf aufgefordert wird, schlägt er ihn selbst nach einer durchlebten Nacht auf Anhieb k.o. Jane Turner, die mit ihrer distinguierten Haltung wiederum direkt einem Roman von Agatha Christie entsprungen sein könnte, zeigt sich zunächst angewidert vom amerikanischen Männlichkeitsimport, muss am Ende aber ihre erste Einschätzung revidieren. Tatsächlich nähern sich die beiden an und werden gemeinsam zwei weitere Fällen lösen: unter dem Titel Maskeraden, der im Paris der 1920er Jahre spielt, und Scharaden, der in Nazi-Deutschland angesiedelt ist.

Walter Satterthwait: Eskapaden. Roman. Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner [Orig. Escapade, 1995]. Zürich: Haffmans Verlag 1997.

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Arthur Conan Doyle: Professor Challenger und das Ende der Welt (1913)


Aus der Feder von Arthur Conan Doyle stammt neben Sherlock Holmes auch eine Reihe weiterer literarischer Figuren, die allerdings nie dieselbe Berühmtheit erlangt haben wie der Meisterdetektiv aus der Baker Street 221b. Eine dieser Gestalten im Schatten des großen Ermittlers ist Professor Challenger, dem Doyle mehrere Erzählungen widmete. Während Holmes dank seiner analytischen Schärfe die Verbrechen und Rätsel des Alltags löst, ist Challenger für die ganz großen Abenteuer und Menschheitsrätsel zuständig. Bereits in der ersten Erzählung Lost World von 1912 entdeckte er eine prähistorische Landschaft mit Urzeitwesen (was später Vorbild für den Kassenschlager Jurassic Park) wurde, dann stieß er auf das versunkene Atlantis und schließlich er- und überlebte er in einer weiteren Erzählung auch das Ende der Welt.

Aufgrund von Veränderungen in der Atmosphäre prophezeit der streitbare Professor das baldige Ende der Welt. Zunächst wird er, auch von seinen Fachkollegen, verlacht, doch schon bald zeigen sich beunruhigende Symptome rund um die Welt. Die Luft wirkt wie ein Nervengift auf die Befindlichkeit des Menschen, die enorm reizbar, ausgelassen oder hysterisch werden – und zuletzt dann mangels Sauerstoff versterben. Mit Ausnahme einer kleinen Gruppe rund um Professor Challenger, der rechtzeitig zwei Sauerstofftanks organisieren kann, um sich in seinem Häuschen vor dem Ersticken zu retten.

Challenger referiert seine Theorie in einem Garten-Gleichnis: So wie ein Weinbauer seine Trauben mit Gift besprüht, um sie vor Bakterien zu schützen, so handle auch der „Große Gärtner“ im Universum: „Ich habe den Eindruck, daß unser Gärtner gerade im Begriff ist, das Sonnensystem zu desinfizieren und den menschlichen Bazillus, den sterblichen kleinen Winzling, der sich über die Erdkruste dahinbewegt, in einem einzigen Augenblick zu sterilisieren und auszuradieren.“ Dank Challengers Voraussicht überleben er und seine Entourage die Katastrophe, sehen sich dann aber mit einem vollkommenen ausgestorbenen Planeten konfrontiert. Überall wo sie hinkommen, ist das Leben erloschen; die Menschen liegen tot bei ihrem letzten Verrichtungen.

Die Pointe der Geschichte ist jedoch: Das vermeintliche Massensterben entpuppt sich bloß als weltweiter Dornröschenschlaf. Nach 28 Stunden wacht die gesamte Bevölkerung wieder aus einer tiefen Katatonie auf und setzt ihre Tätigkeiten fort, als sei nichts gewesen. Auch die aus dem Märchen bekannte Ohrfeige fehlt nicht: „Das Hausmädchen versetzt einem ihrer Schützlinge einen Klaps und schon den Kinderwagen weiter bergauf.“ Allein Professor Challenger und seine kleine Gruppe weiß um die verstrichene Zeit, die sonst niemandem aufgefallen wäre. Unbemerkt hat die Menschheit einen Tag lang mit dem Leben ausgesetzt. Und das ist für die Betroffenen ein Gedanke, der viel beunruhigender ist als ein endgültiges Ende der Welt.

Die Geschichte endet mit einem öffentlichen Appell, die überstandene Katastrophe als Memento Mori zu verstehen, um die eigene Lebensführung angesichts der kosmischen Übermacht devoter zu gestalten. Es ist vielleicht dieser moralinsaure Unterton, der die ohnehin ziemlich platte Geschichte zu einem billigen Gleichnis gerinnen lässt, weshalb Professor Challenger literaturhistorisch nicht denselben Rang einnimmt wie der ungleich zynischere Sherlock Holmes.

Mittwoch, 24. Mai 2017

E. W. Hornung: Raffles (1899-1905)

Raffles, der Edelverbrecher aus der Feder des Schwagers von Sir Conan Doyle, ist das kriminelle Pendant zum Meisterdetektiv Sherlock Holmes. Wie dieser ist Raffles brillant, vornehm, distinguiert und überlegen mit einem untrüglichen „Sinn für Ästhetik“, der bei seinen Verbrechen stets eine Rolle spielt. Raffles versteht sie als Kunststücke und sein Ehrgeiz liegt weniger in der grossen Beute, sondern in der Formvollendetheit seiner Gaunerstücke, weshalb er sich vor immer verücktere Herausforderungen stellt. So wie Holmes' Leidenschaft darin besteht, scheinbar unlösbare Verbrechen aufzudecken, strebt Raffles danach, scheinbar unmögliche Verbrechen zu begehen. Dabei handelt es sich um keine schweren Verbrechen, mehrheitlich konzentriert sich Raffles auf Diebstähle, so dass man fast schon geneigt ist, von Kavaliersdelikten zu sprechen. Denn Raffles ist ein Gentleman, der trotz seiner kriminellen Neigung es nicht an Ehrenhaftigkeit missen lässt. So verabscheut er Gewalt, die er nur in äusserten Notfällen anwenden würde: „Gewalt ist das Eingeständnis einer schrecklichen Unfähigkeit.“ Raffles aber ist alles andere als unfähig, sondern ein Meisterdieb, der „größte der Prä-Raffleiten“, wie er einmal witzig meint, auch wenn er sich selbst bloss als Amateur versteht. Tatsächlich ist er ein Amateur im Wortsinn: Ein Liebhaber des Verbrechens, das er nicht aus Eigennutz oder zur Selbstbereicherung, sondern aufgrund seiner Schönheit – quasi als l'art pour l'art – begeht.

Die Erzählungen lesen sich somit wie inverse Kriminalgeschichten. Die Spannung liegt nicht darin, wie ein Verbrechen aufgedeckt, sondern wie und mit welcher Raffinesse und Brillanz es begangen wird. Am Ende triumphiert immer Raffles, wenn er seinem verblüfften Kompagnon mit dem Spitznamen Bunny den genialen Streich offenlegt. Wie Dr. Watson bei Sherlock Holmes so fungiert auch Rafffles Begleiter zugleich als Erzähler und getreuer Chronist der gemeinsam erlebten Abenteuer. Und wie Watson so bringt auch Bunny dem überlegenen Freund eine grenzenlose Bewunderung entgegen, in die sich mitunter aber auch eine Spur von Eifersucht mischt, wenn ihm wieder deutlich wird, dass er in diesem Duett stets die zweite Geige spielen wird. Bunny dient Raffles vornehmlich als Statist bei seinem Unternehmungen, entsprechend wenig wird er in die Pläne eingeweiht, damit er den Ahnungslosen nicht nur spielt, sondern tatsächlich auch ist, und damit jeden Verdacht von sich und Raffles abwendet: „Wie hättest du dich so tadellos benehmen können“, lobt ihn Raffles, „wenn du das gewußt hättest? Wer hätte das überhaupt zustande gebracht? Niemals hättest du deine Rolle so spielen können, und kein erster Bühnenstern an deiner Stelle hätte es besser machen können.“

Raffles liebt es allgemein, die Leute an der Nase herumzuführen. Nicht nur pflegt er ein Doppelleben – als national anerkannter Kricket-Spieler und ein heimliches als Dieb –, er mischt sich auch gerne inkognito unter die Gesellschaft, die er bestiehlt, und spricht mit den Leuten über sich und seine Taten, was ihm eine tiefe Befriedigung und eine diabolische Freude verschafft. In diesem Punkt offenbart sich die narzisstische Persönlichkeitsstruktur Raffles, der sich von den ahnungslosen Opfern selbst die nötige Bestätigung seiner Genialität holen will. So fühlt er sich natürlich auch geschmeichelt, als im Kriminalmuseum von Scotland Yard die „Reliquien“ seiner Verbrecherkarriere ausgestellt werden. Raffles lässt es sich nicht nehmen, in Begleitung eines Polizisten die Stücke selbst anzusehen, um sie dann aus dem Museum zu entwenden. Doch Raffles Wagemut wird ihm eines Tages zum Verhängnis: Er wird fast gefasst, was ihn zwingt, seine Identität zu ändern und fortan als moribunder Herr Maturin eine Deckexistenz zu fristen. Unter dieser Maskerade wird er aber nicht nur von Bunny entdeckt, sondern auch von einer alten Geliebten entlarvt, was ihn wiederum nötigt unterzutauchen, diesmal indem er seinen eigenen Tod vortäuscht. Und es wäre nicht Raffles, wenn er sich nicht heimlich unter die Trauergäste gemischt hätte, um seinem eigenen Begräbnis beizuwohnen.