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Sonntag, 6. April 2025

Kurt Schwitters: Franz Müllers Drahtfrühling (1919/20)

Bleiben wir beim Nonsens: Franz Müllers Drahtfrühling ist neben Anna Blume der wohl bekannteste Dada-Text von Kurt Schwitters, halb Manifest halb skurrile Geschichte, in der übrigens besagte Anna Blume auch einen Auftritt hat. Ursprünglich kündigte Schwitters das Vorhaben als der grosse Liebesroman der Anna Blume an. Daraus ist jedoch nichts geworden, falls die Ansage jemals ernst gemeint und nicht lediglich eine dadaistische Blague war. Was heute vorliegt sind verschiedene Fragmente aus dem Werkkomplex um den Drahtfrühling, wobei wiederum offen bleibt, wie intendiert dieser Fragmentcharakter ist. Bei einem Text, der- sich fortlaufend selbst dementiert, in sich schon Elemente des Zerfalls und der Uneinheitlichkeit enthält, etwa durch diverse Einschübe und Neueinsätze, gehört das Fragmentarische wesentlich zur Ästhetik dazu. So lässt der Autor zum Beispiel mitten in der Erzählung zusammenhanglos "ein selbstverfasstes Gedicht" folgen, nur um danach "wieder" mit dem "Anfang dieser Geschichte" zu beginnen.

Das ist nur ein markantes Beispiel für viele weitere Formen der erzähllogischen Verweigerung, die typisch für den Dadaismus und seine Antitexte ist. So heisst es programmatisch in der eingeschobenen Rede von Alve Bäsenstiel: "Durch den Dadaismus gelangen wir zum Stil, weil uns dada die ganze erhabene Stillosigkeit unserer Zeit so recht 'lieb' und eindringlich zeigt." Ein weiteres Merkmal sind scheinbar parenthetisch eingestreute, absurde Werbeslogans (die Bezeichnung "Dada" selbst leitet sich von einer damals geläufigen Seifenmarke ab): "Revon in Familienflaschen à 2,50 M.", "Bei rheumatischen Zahnschmerzen und Kopfweh genügen meist 2-3 Revontabletten, und zwar auf den Bauch." Revon? Das ist der halbe Städtename von Hannover rückwärts gelesen und zugleich auch der Schauplatz der Geschichte. Schwitters liebt es, Namen rückwärts zu lesen, etwa A-N-N-A, die von hinten wie von vorn gleich klingt, oder P-R-A, Hans Arp, mit dem zusammen Schwitters Ideen für den Text entwarf. Arp wird einmal sogar als "Chronist" erwähnt.

Hannover also. Dort fanden 1919 wie überall in Deutschland nach der Novemberrevolution Streiks und Aufstände statt, auf den er Untertitel der Erzählung offenbar anspielt: "Ursachen und Beginn der grossen glorreichen Revolution in Revon". Ausgelöst wird diese durch einen stumm und unbeweglich dastehenden Mann, der - das ist ein zeitgeschichtlicher Wink - einmal als "Bolschewik" verdächtigt wird. Doch der Mann löst nicht als politischer Akteur ein öffentliches Ärgernis aus, sondern einzig und allein deshalb, weil er bloss dasteht, gerade nichts unternimmt, sich weder rührt und auch keine Fragen beantwortet. Das provoziert einem Menschenauflauf, der sich schliesslich zu einem Tumult ausweitet, bei dem Kinder zerquetscht und Leute totgetreten werden, nachdem Alves Bäsenstiel, auch das eine bekannte Figur Schwitters, in einer Brandrede die Meute gegen den stehenden Mann aufgebracht hat. Wie sich später herausstellt, handelt es sich bei dem Mann um Franz Müller, die Personifikation von Schwitters Merzkunst, da Müller wie eine "wandelnde Merz-Plastik" aussieht, gestopft und geflickt und mit Draht umspannt. Sein Name ist Programm: Müller besteht aus Müll und er ernährt sich von Müll auf Basis einer bestimmten "Müller- oder Mülldiät".

Die Geschichte lässt sich somit auch als Allegorie auf das Unverständnis lesen, das die Hannoveraner seiner Merzkunst entgegenbrachten. Und nicht Wenige haben damals wohl auch die Geschichte selbst als Müll bezeichnet, weil sie aus inkohärenten Ein- oder vielmehr Abfällen zusammengeflickt ist, aus erzählökonomisch unnötigen Wiederholungen, unsinnigen Sätzen, die sich zuweilen grammatisch zersetzen und zu echtem Sprachmüll mutieren: "Schreck wühlte Augenlichter zischen Eingeweide. Der Polizist lächelte einen lakierten Apfel." Das ist Nonsenspoesie vom Feinsten und vor allem ein hochkomischer Text, der an etlichen Stellen vorwegnimmt, was Helge Schneiders schrägen Humor ausmacht: ein Spiel mit sprachlichen Unzulänglichkeiten, kalkulierten Missverständnissen, Aneinandervorbei-Reden und hanebüchenen Dialogen. Meisterhaft vorgeführt im zweiten Kapitel, das die Debatte im Revoner Parlament parodiert, wie mit Kurt Müller umzugehen sei. Hier führt Schwitters die oftmals politischen Leerformalen ad absurdum und macht somit deutlich, dass literarischer Nonsens oftmals eine, wenn nicht die adäquate Reaktion auf eine sinnlos gewordene Welt darstellt.

Montag, 3. April 2017

Mara Genschel: Cute Gedanken (2017)

Das Lesefrüchtchen ist – mit Walter Benjamin gesprochen – ein genießendes Prosawesen; mit Lyrik hat es entsprechend wenig am Hut. Aber gerade in jüngerer Zeit sind einige interessante Lyrikproduktionen erschienen, und die roughbooks sind für solche Entdeckungen stets eine gute Adresse. Hier wagt man Experimente, ohne dass der Lesegenuss flöten geht. Hier wahrt man formalen und literarischen Anspruch und vergisst trotzdem nicht den Spaß dabei. Das gilt auch für die aktuelle Nummer 042 der Reihe: Cute Gedanken von Mara Genschel. Die Autorin macht dabei von einer alten Avantgardepraxis Gebrauch: der Einbindung von Fehlern und Pannen in den kreativen Prozess. Hans Arp gestaltete zum Beispiel seine Manuskripte unleserlich, damit die Setzer beim Entziffern ihre Phantasie spielen lassen konnte. Und Dieter Roth ließ seine Scheisse-Gedichte in Providence von amerikanischen Studenten drucken, die kein Deutsch konnten und so unfreiwillig Tippfehler produzierten.

Bei Mara Genschel sind es keine amerikanischen Studenten, aber ein amerikanisches Mobiltelefon, dessen Korrekturfunktion automatisch die deutschen SMS umschrieb, so dass zuweilen ein kurioses Esperanto entstand. Vom Sprachklang her zwar immer noch verständlich, eröffnen die amerikanisierten Einsprengsel oft eine zweite Bedeutungsebene. Das beginnt schon im Titel: Hinter Cute Gedanken schwingen lautlich noch „Gute Gedanken“ mit, liest man hingegen die englische Bedeutung dazu, dann sind es auch „Niedliche Gedanken“. So differieren Wortklang und Wortbedeutung oft und erzeugen eine gewisse semantische Spannung oder Unschärfe, die manchmal nur komisch ist (weil es wie die Parodie eines heavy american accent klingt: das Lesefrüchtchen hatte bei der Lektüre irgendwie immer Shawne Fielding im Ohr), manchmal aber auch hintersinnig sein kann – wie bspw.: „Later porose Begriffe, auf Miss vers transmission erbaut.“ Manchmal gelingen sogar richtige poetische Miniaturen: „It doesn't look as crazy as you | think, sagt Mir Ruel und mein | meinen traurig verschmierten | Lippenstift I'm Gruppenbild.“

Die SMS-Form mit seiner Zeichenzahlbeschränkung erinnert zudem an das japanische Kurzgedicht Haiku. Wie dieses so ist auch Genschels SMS-Lyrik aus dem Alltag gegriffen. Sie dokumentiert ihren offenbar etwas tristen Aufenthalt als writer in residence in Iowa. ('Auweia' hat nun meine deutsche Tastatur fast daraus gemacht.)