Das
Lesefrüchtchen ist – mit Walter Benjamin gesprochen – ein
genießendes Prosawesen; mit Lyrik hat es entsprechend wenig am Hut.
Aber gerade in jüngerer Zeit sind einige interessante
Lyrikproduktionen erschienen, und die roughbooks sind für solche
Entdeckungen stets eine gute Adresse. Hier wagt man Experimente, ohne
dass der Lesegenuss flöten geht. Hier wahrt man formalen und
literarischen Anspruch und vergisst trotzdem nicht den Spaß dabei.
Das gilt auch für die aktuelle Nummer 042 der Reihe: Cute
Gedanken von Mara Genschel. Die Autorin macht dabei von einer
alten Avantgardepraxis Gebrauch: der Einbindung von Fehlern und
Pannen in den kreativen Prozess. Hans Arp gestaltete zum Beispiel
seine Manuskripte unleserlich, damit die Setzer beim Entziffern ihre
Phantasie spielen lassen konnte. Und Dieter Roth ließ seine
Scheisse-Gedichte in Providence von amerikanischen Studenten
drucken, die kein Deutsch konnten und so unfreiwillig Tippfehler
produzierten.
Bei
Mara Genschel sind es keine amerikanischen Studenten, aber ein
amerikanisches Mobiltelefon, dessen Korrekturfunktion automatisch die
deutschen SMS umschrieb, so dass zuweilen ein kurioses Esperanto
entstand. Vom Sprachklang her zwar immer noch verständlich, eröffnen
die amerikanisierten Einsprengsel oft eine zweite Bedeutungsebene.
Das beginnt schon im Titel: Hinter Cute Gedanken schwingen
lautlich noch „Gute Gedanken“ mit, liest man hingegen die
englische Bedeutung dazu, dann sind es auch „Niedliche Gedanken“.
So differieren Wortklang und Wortbedeutung oft und erzeugen eine
gewisse semantische Spannung oder Unschärfe, die manchmal nur
komisch ist (weil es wie die Parodie eines heavy american accent
klingt: das Lesefrüchtchen hatte bei der Lektüre irgendwie immer
Shawne Fielding im Ohr), manchmal aber auch hintersinnig sein kann –
wie bspw.: „Later porose Begriffe, auf Miss vers transmission
erbaut.“ Manchmal gelingen sogar richtige poetische Miniaturen: „It
doesn't look as crazy as you | think, sagt Mir Ruel und mein | meinen
traurig verschmierten | Lippenstift I'm Gruppenbild.“
Die
SMS-Form mit seiner Zeichenzahlbeschränkung erinnert zudem an das
japanische Kurzgedicht Haiku. Wie dieses so ist auch Genschels
SMS-Lyrik aus dem Alltag gegriffen. Sie dokumentiert ihren offenbar etwas tristen Aufenthalt
als writer in residence in Iowa. ('Auweia' hat nun meine
deutsche Tastatur fast daraus gemacht.)
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