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Dienstag, 14. April 2020

Kenneth Patchen: Erinnerungen eines schüchternen Pornographen (1945)


Es gibt Bücher, von denen weiß man, bevor man sie liest, dass sie zum Kreis der Lieblingsbücher gehören werden. Man wird beim Lesen von keiner Zeile enttäuscht werden. Bei Kenneth Patchen war das so, dessen schräger Roman am Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen ist. Hitler wird darin zweimal eher spöttisch erwähnt, ansonsten spielt der zeitgeschichtliche Hintergrund kaum eine Rolle. Auch handelt es sich, anders als der Titel vermuten lassen könnte, nicht um einen pornographischen Roman, sondern um eine ziemliche skurrile (Liebes-)Geschichte, die streckenweise eine absurde Komik entwickelt, wie man sie aus Blödelstreifen wie Naked Gun kennt.

Die Komik liegt jedoch nicht nur in der Skurrilität, sondern in der Erzählperspektive, die aus der Sicht des Protagonisten Albert Budd erfolgt, der ein sehr naiver junger Mann ist und vieles nicht wirklich versteht, was um ihn vor sich geht – und deshalb vollkommen unwissend zum Porno-Schriftsteller wird, als er sein Buchmanuskript zwei dubiosen Agenten übergibt, die es unter anderem Titel als pornographischen Roman verkaufen, indem sie zahlreiche Auslassungspunkte und Ausrufezeichen setzen, hinter denen die Leser anzügliche Stellen vermuten. Solche schein-zensierten Stellen finden sich über einige Seiten auch im Roman selber, als Albert bei einer Cocktail-Party von weiblichen Fans im Schlafzimmer verführt wird. Es handelt sich dabei auch um eine Parodie auf die amerikanische Prüderie und deren Zensurwesen.

Die komische Naivität von Albert, der seltsam lebensfremd agiert, kommt bei einem Dialog auf der Party gut zum Ausdruck:

Was tun Sie denn so?“ fragte mich die junge Dame.
Ich versuchte verzweifelt, mich daran zu erinnern, wie Mein Agent das Buch genannt hatte. Das Wort stand nicht in meinem Lexikon – ein ziemliches langes . . .
Dann fiel es mir ein.
Ich schreibe Pornographie.“

Doch Albert ist nicht nur naiv, er besitzt eine Phantasietätigkeit und ein genuiner Glaube, der nicht gerade Berge versetzen, aber doch Rehböcke hervorzaubern und seine verkrüppelte Freundin wieder zum Gehen bringen kann. Die Liebesgeschichte zwischen Albert und der an den Rollstuhl gefesselte Priscilla markiert ein Gegengewicht zur den ansonsten ziemlich durchgeknallten Ereignissen. Es gibt einige sehr berührende Szenen, etwa diejenige, wo sich beide vor einem heftigen Regenguss in eine Höhle flüchten und ihre Kleider über dem Feuer trocknen. Aber auch hier zeigt sich in doppeltem Wortsinn die Unschuld und Naivität Budds, der die Avancen seiner Freundin zwar alle registriert, aber nicht darauf reagiert.

Die Liebe findet schließlich ihre Erfüllung im Himmel. Beide sterben und verbringen als Engel in alle Ewigkeit „einen glücklichen Tod“. Dieser Schluss knüpft an ein philosophisches Gespräch zwischen Priscilla und Albert an, der die Ansicht äußert, dass der Mensch zu unrecht daran glaube, dass „zuerst das Leben und dann das Totsein“ komme. Viel logischer scheint ihm der Glaube, „daß am Anfang der Tod steht – und daß wir dann zum Leben erwachen“. Der Schluss des Romans widerlegt dieser Auffassung zugleich und gibt ihr doch Recht, indem das Paar zwar tot ist, aber als Engel doch weiterlebt. Das wirft die Frage auf, ob das Dasein auf Erden bloß ein Sterben für ein späteres ewiges Leben ist.

Neben dieser philosophischen Sequenz enthält das Buch zudem ein flammendes pazifistisches Plädoyer, das zwar Albert in den Mund gelegt wird, wohl aber Patchens eigene Ansichten wiedergibt. Patchen, der ein wichtiger Anreger der Beat-Bewegung war und mit Lawrence Ferlinghetti und Allen Ginsberg zu den „Rebel Poets“ zählte, neigte politisch zum Pazifismus und Anarchismus. Erfüllt vom Zorn der Gerechtigkeit spricht sich Albert deutlich gegen jede Form von Habgier und Gewalt aus: „Es gibt kein Brot außer dem Brot, das deinen geringsten Nächsten nährt, keinen Besitz außer dem Besitz, den du mit ihm teilst, keine Heimstatt außer der Heimstatt, deren Türen sich freudig öffnen. Kriege und von Kriegen hinterlassene Pestbeulen werden fortbestehen, bis die Menschheit sich von dem Mord abwendet, der jeden Tag von jedermann verübt wird.“ Solche Sätze dürften noch unmittelbar unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs geschrieben worden sein.

Daneben besticht der Roman durch eine Reihe verrückter Einfälle, z.B. die Erfindung einer Maschine, die auf Knopfdruck Bücher und gleich auch die dazu gehörigen Rezensionen erfasst, oder eine Liste von essentiellen Jazz-Stücken, von denen aber die Hälfte frei erfunden ist und die so verheißungsvolle Namen tragen wie „Lazy Daddy, Dat Street Car's Comin' 'Long von Big Rabbit Garys Plantation Boys“ oder „Evil Turkey Blues von Midge St. Elglade's Happy Brass Deceivers“. Im Internet-Zeitalter lassen sich solche Hoaxes rasch entlarven; beim Erscheinen des Buchs dürfte aber so mancher Jazz-Fan seinen lokalen Plattenhändler zur Verzweiflung getrieben haben, als er sich nach diesen Nonsens-Bands erkundigte – umso mehr als Patchen im Roman direkt dazu auffordert: „Das hier sind die Disks, die Sie kaufen müssen, wenn Sie den Grundstein zu einer Jazzsammlung legen wollen [...] schreiben Sie auf.“