Es
gibt Bücher, von denen weiß man, bevor man sie liest, dass sie zum
Kreis der Lieblingsbücher gehören werden. Man wird beim Lesen von
keiner Zeile enttäuscht werden. Bei Kenneth Patchen war das so,
dessen schräger Roman am Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen ist.
Hitler wird darin zweimal eher spöttisch erwähnt, ansonsten spielt
der zeitgeschichtliche Hintergrund kaum eine Rolle. Auch handelt es
sich, anders als der Titel vermuten lassen könnte, nicht um einen
pornographischen Roman, sondern um eine ziemliche skurrile
(Liebes-)Geschichte, die streckenweise eine absurde Komik entwickelt,
wie man sie aus Blödelstreifen wie Naked Gun kennt.
Die
Komik liegt jedoch nicht nur in der Skurrilität, sondern in der
Erzählperspektive, die aus der Sicht des Protagonisten Albert Budd
erfolgt, der ein sehr naiver junger Mann ist und vieles nicht
wirklich versteht, was um ihn vor sich geht – und deshalb
vollkommen unwissend zum Porno-Schriftsteller wird, als er sein
Buchmanuskript zwei dubiosen Agenten übergibt, die es unter anderem
Titel als pornographischen Roman verkaufen, indem sie zahlreiche
Auslassungspunkte und Ausrufezeichen setzen, hinter denen die Leser
anzügliche Stellen vermuten. Solche schein-zensierten Stellen finden
sich über einige Seiten auch im Roman selber, als Albert bei einer
Cocktail-Party von weiblichen Fans im Schlafzimmer verführt wird. Es handelt sich dabei auch um eine Parodie auf die amerikanische Prüderie und deren Zensurwesen.
Die
komische Naivität von Albert, der seltsam lebensfremd agiert,
kommt bei einem Dialog auf der Party gut zum Ausdruck:
„Was
tun Sie denn so?“ fragte mich die junge Dame.
Ich
versuchte verzweifelt, mich daran zu erinnern, wie Mein Agent das
Buch genannt hatte. Das Wort stand nicht in meinem Lexikon – ein
ziemliches langes . . .
Dann
fiel es mir ein.
„Ich
schreibe Pornographie.“
Doch
Albert ist nicht nur naiv, er besitzt eine Phantasietätigkeit und
ein genuiner Glaube, der nicht gerade Berge versetzen, aber doch
Rehböcke hervorzaubern und seine verkrüppelte Freundin wieder zum
Gehen bringen kann. Die Liebesgeschichte zwischen Albert und der an
den Rollstuhl gefesselte Priscilla markiert ein Gegengewicht zur den
ansonsten ziemlich durchgeknallten Ereignissen. Es gibt einige sehr
berührende Szenen, etwa diejenige, wo sich beide vor einem heftigen
Regenguss in eine Höhle flüchten und ihre Kleider über dem Feuer
trocknen. Aber auch hier zeigt sich in doppeltem Wortsinn die
Unschuld und Naivität Budds, der die Avancen seiner Freundin zwar
alle registriert, aber nicht darauf reagiert.
Die
Liebe findet schließlich ihre Erfüllung im Himmel. Beide sterben
und verbringen als Engel in alle Ewigkeit „einen glücklichen Tod“.
Dieser Schluss knüpft an ein philosophisches Gespräch zwischen
Priscilla und Albert an, der die Ansicht äußert, dass der Mensch zu
unrecht daran glaube, dass „zuerst das Leben und dann das Totsein“
komme. Viel logischer scheint ihm der Glaube, „daß
am Anfang der Tod steht – und daß
wir dann zum Leben erwachen“. Der Schluss des Romans widerlegt
dieser Auffassung zugleich und gibt ihr doch Recht, indem das Paar
zwar tot ist, aber als Engel doch weiterlebt. Das wirft die Frage
auf, ob das Dasein auf Erden bloß ein Sterben für ein späteres
ewiges Leben ist.
Neben
dieser philosophischen Sequenz enthält das Buch zudem ein flammendes
pazifistisches Plädoyer, das zwar Albert in den Mund gelegt wird,
wohl aber Patchens eigene Ansichten wiedergibt. Patchen, der ein
wichtiger Anreger der Beat-Bewegung war und mit Lawrence Ferlinghetti und Allen Ginsberg zu den „Rebel Poets“
zählte, neigte politisch zum Pazifismus und Anarchismus. Erfüllt
vom Zorn der Gerechtigkeit spricht sich Albert deutlich gegen jede
Form von Habgier und Gewalt aus: „Es gibt kein Brot außer
dem Brot, das deinen geringsten Nächsten nährt, keinen Besitz außer
dem Besitz, den du mit ihm teilst, keine Heimstatt außer
der Heimstatt, deren Türen sich freudig öffnen. Kriege und von Kriegen hinterlassene Pestbeulen werden fortbestehen, bis die Menschheit sich von dem Mord abwendet, der jeden Tag von jedermann verübt wird.“ Solche Sätze dürften noch unmittelbar unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs geschrieben worden sein.
Daneben
besticht der Roman durch eine Reihe verrückter Einfälle, z.B. die
Erfindung einer Maschine, die auf Knopfdruck Bücher und gleich auch
die dazu gehörigen Rezensionen erfasst, oder eine Liste von
essentiellen Jazz-Stücken, von denen aber die Hälfte frei erfunden
ist und die so verheißungsvolle Namen tragen wie „Lazy Daddy,
Dat Street Car's Comin' 'Long von Big Rabbit Garys Plantation
Boys“ oder „Evil Turkey Blues von Midge St. Elglade's
Happy Brass Deceivers“. Im Internet-Zeitalter lassen sich solche
Hoaxes rasch entlarven; beim Erscheinen des Buchs dürfte aber so
mancher Jazz-Fan seinen lokalen Plattenhändler zur Verzweiflung
getrieben haben, als er sich nach diesen Nonsens-Bands erkundigte –
umso mehr als Patchen im Roman direkt dazu auffordert: „Das hier
sind die Disks, die Sie kaufen müssen, wenn Sie den Grundstein zu
einer Jazzsammlung legen wollen [...] schreiben Sie auf.“
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