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Montag, 22. April 2024

Dany Lafferière: Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden (1985)

Was macht einen Kultroman aus? Zwei schräge Typen und irrwitzige Diskurse? (So wie die Nonsens-Debatte von John Travolta und Samuel L. Jackson um den "Royal mit Käse" in Pulp Fiction.) In diesem Fall handelt es sich beim Debutroman von Dany Lafferière garantiert um einen Kultroman, der auch rasch überall grosse Erfolge feierte. Bloss die deutschsprachige Übersetzung liess dreissig Jahre auf sich warten.

Im Zentrum steht der mit dem Autor weitgehend identische Ich-Erzähler und sein Kumpel Bouba, zwei schwarze Migranten, die sich in der Wohnung Nr. 3670 an der Rue Saint-Denis in Montreal einquartieren. Ihre Tage verbringen sie mehrheitlich mit Nichtstun. Sie machen praktisch nichts anderes ausser Jazz hören, aus dem Koran zitieren und Wasp-Studentinnen abschleppen, denen sie sprechende Übernamen wie "Miz Literatur", "Miz Suizid" oder "Miz Sophisticated" geben. Und natürlich überhöhen sie, wie es sich für Kultcharaktere gebührt, ihr verbummeltes Dasein metaphysisch: Bouba wird als "der einzige noch lebende Heilige in Montreal" stilisiert, der, während er sich auf der Couch fläzt, "in Wahrheit das Universum reinigt", derweil der Ich-Erzähler auf seiner Remington 22 ihre Erlebnisse in einen Roman verpackt, der selbst James Baldwin in den Schatten - oder wie es im Text heisst: "unter die Dusche" - stellen soll. Es wird eben jener Roman sein, den wir schliesslich lesen.

Dany Lafferière stammt ursprünglich aus Haiti, war dort ohne Vater aufgewachsen, weil dieser vom berüchtigten Diktator Papa Doc (eigentlich: François Duvalier) ins Exil gedrängt wurde. 1976 wanderte Lafferière aufgrund des anhaltend repressiven politischen Klimas selbst nach Montréal aus, lehnte die Etikettierung als "Exil-Schriftsteller" jedoch ab. Daher wohl auch die im Roman vollzogenen Abgrenzung zu Baldwin und seiner, wie er sie nannte, "Selbstexilierung" nach Frankreich. Auch sonst scheint Lafferière so etwas wie die Antithese zu Baldwin darzustellen. Zwar handelt es sich auch bei ihm um eine Migrantengeschichte und die Frage der Blackness sowie die Motive des Rassismus und des Kolonialismus bestimmten den Hintergrund der Erzählung. Indes geht Lafarrière diese Thematik deutlich provokativer und politisch unkorrekter an als die moralistische Prosa Baldwins.

Ja, es steigert sich letztlich zur Groteske. Der Erzähler begibt sich auf einen "Sex-Kreuzzug", um sich an den westlichen Kolonisten zu rächen, indem er ihre Töchter reihenweise mit seiner verlockend dunkeln Exotik ins Bett bringt: "Ich bin hier, um die Tochter der hochmütigen Diplomaten zu vögeln, die uns einst mit ihrem Kricketstock eins übergezogen haben." In dieser saloppen, oft auch derben und zotenhaften Sprache vollzieht sich die schmale Gratwanderung des Romans zwischen chauvinistischer Sex-Posse à la American Pie und sozialkritischer Satire, ohne sich selbst auf einen moralischen Standpunkt zu stellen. Vielmehr wendet Laferrière das rassistische Klischee des gut bestückten, sexhungrigen Schwarzen in ein antirassisches Kampfmittel gegen die weisse Elite, um tief ins westliche Bewusstsein einzudringen und quasi einen koitalen Mentalitätswandel herbeizuführen: "Ich möchte ihr Unbewusstes vögeln."

Das ist mal komisch, mal subversiv und häufig sehr obszön. Vor allem täuscht es oberflächlich besehen über die tiefere Intelligenz des Buchs hinweg. Was sich auf weiten Strecken als reine Klamotte präsentiert, stellt nicht weniger als den Versuch dar, auf explizite, überzeichnete und oft auch bewusst plakative Weise gesellschaftlich tief verankerte Tabus und Problembereiche anzusprechen, ohne dabei in eine ideologisch verhärtete Position zu verfallen. Vielmehr zeigt Lafarrière, wie man schamlos und selbstironisch einen kritischen Diskurs über politisch heikle Themen führen kann - und dabei zu den selben Einsichten gelangt wie eine Critical Race Theory, die von der Rasse als sozialem Konstrukt ausgeht. Das letzte, ultrakurze Kapitel trägt, quasi als Fazit, die programmatische Überschrift: "Man ist nicht als Schwarzer geboren, man wird dazu gemacht".