Posts mit dem Label Nicolas Chamfort werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Nicolas Chamfort werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Samstag, 25. Februar 2017

Joseph Breitbach: Das blaue Bidet oder das eigentliche Leben (1978)

Dieser Roman ist ein so frischer und frivoler Altersroman, dass man es erst gar nicht glauben will, dass der Autor ihn im hohen Alter von 75 Jahren, das heißt unterdessen vor gut 40 Jahren, geschrieben hat. Keine einzige Zeile klingt verstaubt. Auch heute nicht. Vielmehr zeichnet sich der Text durch eine narrative Vitalität und erzählerische Verve aus, die seinesgleichen sucht. Der Roman besticht nicht durch hohen Stil, sondern durch eine klare, flüssige Erzählweise, die keine Experimente wagt, sondern von solider Könnerschaft zeugt. Kein Satz ist missglückt, auch wenn nicht jeder Satz zwingend notwendig erscheint. Das einzige, was man dem Buch vorwerfen könne, sind gewisse Längen und Dehnungen.

Zum Inhalt: Jean Barbe, ein 60jähriger Unternehmer und Produzent von Qualitätsknöpfen, beschließt vor der befürchteten Sozialisierung des Arbeitsmarktes seine Firma zu verkaufen und endlich das ›eigentliche‹ Leben zu führen: »Ich will endlich einmal zu mir selbst kommen! [...] Das Eigentliche, danach dürstet mich. Das uneigentliche Dasein, mein bisheriges, lohnt sich nicht mehr, seitdem Produktivität Schinderei der Arbeitnehmer, Besitz Diebstahl, kurz: seitdem der Inhalt meiner Existenz, nach einem bereits allgemein geteilten Urteil, Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist.«

Auf seinem Gang in das neue freie Leben begegnet er aber just dem jungen Marxisten Ferdinand Malis, einem Studenten, den er als Fahrer für seine Reise in den Süden anheuern will. Obwohl Malis von Barbe nachhaltig irritiert, ja sogar abgestoßen ist, geht er den Deal ein, weil es für ihn erstens eine willkommene Gelegenheit ist, die Trennung von seiner Freundin zu verschmerzen, zweitens den kapitalistischen Klassenfeind einer Realanalyse zu unterziehen und last but not least auch deshalb, weil - Ironie - ein ordentliches Gehalt winkt.

Was wir als Leser somit serviert bekommen, sind seine »Beobachtungen an einem Kapitalisten«, zumal Malis im 19. Kapitel auch auf relativ spektakuläre Weise als neuer Erzähler eingeführt wird, nachdem die Geschichte zunächst durch eine personal an Barbe gebundene Erzählstimme wiedergegeben wurde. Es kommt deshalb, in dem ansonsten schnörkellosen Text zu einer auffälligen metanarrativen Bruchstelle, an der Malis als Erzähler das Wort ergreift:

»Ich bin es, der jetzt hier die Feder führt; im Einverständnis mit dem Autor werde ich mich bemühen, daß der Leser auf eine ihn nicht ärgernde, bequeme Weise erfahre, wie ich Barbe kennenlernte und welche Rolle dieser Sechzigjährige in meinem Leben spielen sollte.«

Es gehört als zum Kniff der Erzählanlage, dass der Kapitalist Barbe aus der Optik des Jungmarxisten Malis geschildert wird. Während Barbe zu Beginn als eher tolpatschiger und weltfremder Kauz in Erscheinung tritt (was ür allerhand slapstickartige Episoden sorgt), gewinnt er aus der Perspektive von Malis vermehrt großtuerische Züge, die dennoch nicht frei von Verschrobenheit sind. Im Gegenteil: Barbe erweist sich als geradezu kapriziöser, impulsiver, ja obsessiver (und darüber hinaus auch hochgradig erotomaner) Charakter, dessen Eigentümlichkeiten in der besonderen Vorliebe für Bidets gipfelt.

Im Bidet sieht er (auch für den Mann!) das Wahrzeichen der körperlichen Hygiene. Von dieser Ansicht lässt sich Malis am Ende ebenso überzeugen, wie er den wortreich dargebrachten Argumenten des Kapitalisten Barbe über den Egoismus als Triebkraft der menschlichen Natur streckenweise recht geben muss. Die Geschichte endet mit der Bilanz: »Ich fürchte, geblieben ist die Einsicht in seine einmal so hart geäußerte Meinung, daß wir uns alle viel gleichgültiger seien als wir es uns eingestehen wollten, und daß es die eigenen Interessen seien, die unser Fühlen, Denken und Handeln bestimmten, wie bewußt oder unbewußt auch imer wir diese verbrämten.«

Der Roman ist jedoch alles andere als ein theoretischer Schlagabtausch zwischen Kapitalismus und Sozialismus, auch wenn die hin und wieder vorgebrachten Reden und Gegenreden der Protagonisten etwas stark nach Denkschablone geschrieben sind. Im Vordergrund stehen die skurrile Figur Barbes und die durch seinen Eigensinn ausgelösten Skandale und Missverständnisse, gemäß dem von Chamfort vorangestellte Motto: »Der Eigensinn vertritt den Charakter ungefähr so, wie das Temperament die Liebe vertritt.«

Es ist eine Art Pikaroroman in modernem Gewand, hochkomisch, zuweilen derb, wie es sich für dieses Genre gehört (ein Höhepunkt bildet der kollektive Puffbesuch im Khedive mit anschließender Prügelei). Und natürlich scheint im Zweigespann vom närrischen Barbe und seinem mitschreibenden Begleiter Malis auch das literarische Vorbild von Don Quijote und Sancho Pansa durch. Gleich zu Beginn des Romans wird zudem ein anderer, sehr deutlicher intertextueller Verweis gesetzt, wenn fast beiläufig gesagt wird, Barbe habe sein Knopfgeschäft von der Familie »Bouvard und Pécuchet« übernommen.

Wie diese beiden Antihelden bei Flaubert ausziehen, um alle Wissenschaften zu erkunden, so lässt Barbe alles hinter sich, um sich in bare Leben zu stürzen. Während die beiden Kopisten Bouvard und Pécuchet am Ende ihres Kursus jedoch wieder enttäuscht in die Schreibstube zurückkehren, endet Barbes Ausflug tödlich: Er wird, Opfer seines überschäumenden Lebens- und Liebestriebs, in Tunesien aus Rachsucht niedergestochen von der schönen Fatima. So findet eine groteske Existenz ihren grotesken Abgang...

Auch wenn sich Barbe – steckt in diesem Namen vielleicht eine Kurzform von Barbar? – oft als Wüstling oder Soziophat verhält, faszinierend am Roman ist, dass er in keiner Sekunde unsympathisch wirkt, vielleicht gerade weil er im Grunde eine erzarchaische Figur ist, ein Saftkerl wie viele Schelme der Weltliteratur, die Dinge an- und aussprechen, die man sich gemeinhin nicht zu sagen wagt. Beispiel gefälligst: »Acht Tage Enthaltsamkeit, wem platze da nicht der Sack!«