Raffles,
der Edelverbrecher aus der Feder des Schwagers von Sir Conan Doyle,
ist das kriminelle Pendant zum Meisterdetektiv Sherlock Holmes. Wie
dieser ist Raffles brillant, vornehm, distinguiert und überlegen mit
einem untrüglichen „Sinn für Ästhetik“, der bei seinen
Verbrechen stets eine Rolle spielt. Raffles versteht sie als
Kunststücke und sein Ehrgeiz liegt weniger in der grossen Beute,
sondern in der Formvollendetheit seiner Gaunerstücke, weshalb er
sich vor immer verücktere Herausforderungen stellt. So wie Holmes'
Leidenschaft darin besteht, scheinbar unlösbare Verbrechen
aufzudecken, strebt Raffles danach, scheinbar unmögliche Verbrechen
zu begehen. Dabei handelt es sich um keine schweren Verbrechen,
mehrheitlich konzentriert sich Raffles auf Diebstähle, so dass man
fast schon geneigt ist, von Kavaliersdelikten zu sprechen. Denn
Raffles ist ein Gentleman, der trotz seiner kriminellen Neigung es
nicht an Ehrenhaftigkeit missen lässt. So verabscheut er Gewalt, die
er nur in äusserten Notfällen anwenden würde: „Gewalt ist das
Eingeständnis einer schrecklichen Unfähigkeit.“ Raffles aber ist
alles andere als unfähig, sondern ein Meisterdieb, der „größte
der Prä-Raffleiten“, wie er einmal witzig meint, auch wenn er sich
selbst bloss als Amateur versteht. Tatsächlich ist er ein Amateur im
Wortsinn: Ein Liebhaber des Verbrechens, das er nicht aus Eigennutz
oder zur Selbstbereicherung, sondern aufgrund seiner Schönheit –
quasi als l'art pour l'art – begeht.
Die
Erzählungen lesen sich somit wie inverse Kriminalgeschichten. Die
Spannung liegt nicht darin, wie ein Verbrechen aufgedeckt, sondern
wie und mit welcher Raffinesse und Brillanz es begangen wird. Am Ende
triumphiert immer Raffles, wenn er seinem verblüfften Kompagnon mit
dem Spitznamen Bunny den genialen Streich offenlegt. Wie Dr. Watson
bei Sherlock Holmes so fungiert auch Rafffles Begleiter zugleich als
Erzähler und getreuer Chronist der gemeinsam erlebten Abenteuer. Und wie
Watson so bringt auch Bunny dem überlegenen Freund eine grenzenlose
Bewunderung entgegen, in die sich mitunter aber auch eine Spur von
Eifersucht mischt, wenn ihm wieder deutlich wird, dass er in diesem
Duett stets die zweite Geige spielen wird. Bunny dient Raffles
vornehmlich als Statist bei seinem Unternehmungen, entsprechend wenig
wird er in die Pläne eingeweiht, damit er den Ahnungslosen nicht nur
spielt, sondern tatsächlich auch ist, und damit jeden Verdacht von
sich und Raffles abwendet: „Wie hättest du dich so tadellos
benehmen können“, lobt ihn Raffles, „wenn du das gewußt
hättest? Wer hätte das überhaupt zustande gebracht? Niemals
hättest du deine Rolle so spielen können, und kein erster
Bühnenstern an deiner Stelle hätte es besser machen können.“
Raffles
liebt es allgemein, die Leute an der Nase herumzuführen. Nicht nur
pflegt er ein Doppelleben – als national anerkannter
Kricket-Spieler und ein heimliches als Dieb –, er mischt sich auch
gerne inkognito unter die Gesellschaft, die er bestiehlt, und spricht
mit den Leuten über sich und seine Taten, was ihm eine tiefe
Befriedigung und eine diabolische Freude verschafft. In diesem Punkt
offenbart sich die narzisstische Persönlichkeitsstruktur Raffles,
der sich von den ahnungslosen Opfern selbst die nötige Bestätigung
seiner Genialität holen will. So fühlt er sich natürlich auch
geschmeichelt, als im Kriminalmuseum von Scotland Yard die
„Reliquien“ seiner Verbrecherkarriere ausgestellt werden. Raffles
lässt es sich nicht nehmen, in Begleitung eines Polizisten die
Stücke selbst anzusehen, um sie dann aus dem Museum zu entwenden.
Doch Raffles Wagemut wird ihm eines Tages zum Verhängnis: Er wird fast gefasst, was ihn zwingt, seine Identität zu ändern und fortan
als moribunder Herr Maturin eine Deckexistenz zu fristen. Unter dieser
Maskerade wird er aber nicht nur von Bunny entdeckt, sondern auch von
einer alten Geliebten entlarvt, was ihn wiederum nötigt unterzutauchen,
diesmal indem er seinen eigenen Tod vortäuscht. Und es wäre nicht
Raffles, wenn er sich nicht heimlich unter die
Trauergäste gemischt hätte, um seinem eigenen Begräbnis
beizuwohnen.
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