Samstag, 4. März 2017

Walter Serner: Die Tigerin (1925)

Die Tigerin – so lautet der Übername von Bichette, einer Halbweltdame, die berüchtigt dafür ist, dass sie von keinem Mann gezähmt werden kann. Sie gilt als Raubtier und Man-Eater. Umso verblüffender ist es deshalb, als es dem Hochstapler Henri Rilcer alias Fec scheinbar gelingt, sie an seine Seite zu binden, erst recht, weil ihn viele „schlankweg für einen Trottel“ halten. Das ändert sich auch am Schluss der Geschichte nicht wirklich, als er längst unter der Erde liegt. Auch da herrscht nach wie vor „Einmütigkeit“ darin, dass „Fec eben doch ein Trottel gewesen wäre“.

Der kurze Roman besticht an vielen Stellen durch derbe Lakonie dieser Art. Erzählt wird die - wie es im Untertitel heißt - absonderliche Liebesgeschichte von Fec und Bichette, die beide eine „Abmachung“ treffen, nämlich sich zu „machen“, damit sie aus Überdruss und Ennui nicht „leer laufen“. So schwören sie sich gegenseitige Liebe und starten eine Karriere als Bonnie-und-Clyde-Pärchen. Der Plan scheitert schließlich jedoch daran, dass sie nicht allein Liebe „machen“, sondern sich dabei ständig auch etwas „vormachen“. Jedenfalls wächst das Misstrauen, bis sich ihr Verhältnis gänzlich verwirrt.

Der Roman gipfelt in einer konfusen Aussprache des schrägen Gangsterpärchens. Man kennt die Situation aus jeder Beziehung, wenn beide Partner sich in Vorwürfen hochschaukeln und sich dabei immer stärker in Konditionalsätze und rückwirkende Erklärungsversuche verstricken. Fec nennt es „Hinterher-Motivationen“, als er mit Bichette zu klären versucht, wer aus welchem Grund was „gemacht“ habe, bis er selber mit der Erkenntnis aufgeben muss: „dies ist jetzt alles so ausgezeichnet verwirrt, daß es ganz unmöglich wäre, es jemals mit Erfolg zu entwirren“. - Und so schwirrt am Ende auch des Lesers Kopfs ab so viel kruder Liebes-Syllogistik.

Definitiv ein Kultbuch. Vielleicht weniger wegen der – heute ohnehin komplett harmlosen – Darstellung von Sex, Crime & Violence, mit der Serner damals aber haarscharf an der Zensur vorbeischrammte. Das Buch besticht vor allem durch die mit Versatzstücken aus dem Gaunerwelsch gespickten Irrsinns-Dialoge zwischen dem Schwadronör Fec und der kaltschnäuzigen Bichette. Darin ist es mit Quentin Tarantinos Kulterfolgsfilm Pulp Fiction vergleichbar.

Walter Serner machte sich, bevor er sich als Kriminalschriftsteller versuchte, in Zürich 1916/17 anfänglich auch einen Namen als Dadaist. Ist es Zufall, ironisches Zitat oder schlichte Überbietung des Dadaismus, wenn es an einer Stelle im Roman heißt: „Da, da, da, da...“?

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