Bei
Schöffling erscheint diesen Bücherherbst die Neuauflage eines
Skandalbuchs, eines Skandalbuch-Klassikers sogar. Es ist – für den
Verlag ungewöhnlich – knallgelb und mit fetten Lettern versehen
wie man sie nur vom März-Verlag kennt. Denn es handelt sich um das
Buch des März-Verlegers Jörg Schröder, mit dem er im Alter von 34
Jahren so ziemlich mit allen abrechnete, die ihm bislang über den
Weg gekommen sind. Und das sind gerade im Kulturbereich nicht wenige,
ging Schröder doch bei Kiepenheuer & Witsch in die Lehre,
sanierte den maroden Melzer-Verlag, indem er Maurice Girodias Olympia
Press an Land zog und mit Der
Geschichte der O. einen großen Porno-Markterfolg verbuchen konnte, bis er sich schließlich von
Melzer trennte und seinen eigenen März-Verlag gründete, der ein
Gütesiegel für harte amerikanische Avantgarde und allerhand queere
und schwule Literatur wurde, lange bevor das die universitären Orchideenfächer auch nur am Rande interessiert hätte.
Schröder ist ein cooler Hund und
das spielt er in jeder Sekunde dieser Nacherzählung seines Lebens
aus. Er hat stets den richtigen Riecher, den Durchblick, die wahre
Intuition, während alle anderen um ihn herum Waschlappen und
denkfaule Säcke oder einfach bereits von Betrieb verschleißte Figuren sind. Und auf Rang und Autorität pfeift er sowieso. Sein
Credo: „Du kommst nur weiter, wenn du es systematisch mit Leuten
verdirbst, von denen alle Welt glaubt, daß
man es mit ihnen niemals verderben dürfte.“ Schröder ist zudem
ein unverwüstlicher Kerl. Im gesamten Buch ist so viel von „Bumsen“,
vom „Puff“ und vom „Saufen“ die Rede, dass man bass erstaunt
ist, wie er scheinbar nebenher ein erstklassiges Verlagsprogramm auf die
Beine stellen konnte. Aber Schröder ist eben immer auf
Achse, selbst wenn er im Suff versinkt oder im Spital liegt, wo ihm
beinahe ein Bein amputiert werden muss. Noch in dieser prekären
Situation schmeißt er den Laden aus dem Krankenlager.
Neben dem mitunter etwas anstrengenden Großsprechertum
besticht das Buch durch eine schonungslose Selbstentblößung. So gut
wie Schröder gegen alle Seiten austeilen kann, so nimmt er auch sich
betreffend kein Blatt vor den Mund. Keine Peinlichkeit oder Intimität
lässt er aus, nur dass sie aus seinem Mund keineswegs wie
Peinlichkeiten klingen, sondern eben auch Ausdruck des mit allen
Wasser gewaschenen Lebemannes sind, der sich keiner falschen Scham
bewusst ist. Ein harter Kerl halt, der dem Leben mehr als nur einmal
die Stirn geboten hat. Dass Schröder erzählen kann, was er will,
ohne dass es peinlich wirkt, liegt neben seinem Habitus
auch an seinem brillanten Erzähltalent, seiner pointenreichen und
oft auch derben Sprache, mit der er die Dinge beim Namen nennt. Hinzu kommt – neben einem offensichtlich ausgeprägten
Selbstbewusstsein – auch eine starke analytische Fähigkeit und
ein beneidenswertes Gedächtnis.
Vermutlich gehört es zur
hypertrophen Rhetorik dazu, dass Schröder alles aus dem Gedächtnis
(an den Schriftsteller Ernst Herhaus) erzählt, denn damit beweist er
einmal mehr, dass ihm niemand das Wasser reichen kann. Jedes Detail,
alle Zusammenhänge und Befindlichkeiten sind Schröder noch präsent
und er versteht es, diese mit einem unbestechlichen Blick einzufangen
und einem psychologisch feinem Gespür für situations- oder
milieubedingte Faktoren. Es gibt keinen Charakter, den er nicht erbarungslos in seinen individuellen und sozialen Verstrickungen erkennen kann.
Zum Beispiel den Standesdünkel des Verlegers Melzer: „Wie die
meisten bürgerlichen Juden hatte auch Melzer einen Adelstic, da
schmolzen ihm die Eier ab.“ – Hier paart sich grobe Diktion mit
einer messerscharfen Beobachtungsgabe.
Siegfried – benannt nach
Schröders Onkel – bietet großartige Unterhaltung (man ist mit
Schröder immer auf der Seite des lachenden Siegers: insofern ist der
Buchtitel sicher auch allegorisch zu lesen) und vor allem ein
spannendes Stück Verlagsgeschichte, natürlich aus einer radikal
subjektiven Perspektive, die in den wenigsten Fällen für bare Münze
genommen werden darf. Das Buch neigt zum Literarischen, wie Schröder
auch an einer Stelle erwähnt, dass er anfänglich selber
Schriftsteller werden wollte. Darüber kann auch die Koketterie mit
der Oral History nicht hinwegtäuschen, derzufolge das Buch mündlich Ernst Herhaus erzählt wurde, der dann alles
niedergeschrieben habe. Was auf den ersten Blick wohl als Authentitzitätssignal fungieren soll, kann genauso gut als
Herausgeberfiktion gewertet werden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen