Die
Menschheit ist seit jeher vom Mond fasziniert, der immer auch
Spekulationen über die Bewohner dieses Gestirns evozierte. Bereits Plutarch
verfasste einen Traktat über das vermeintliche Mondgesicht, wie sich
auch die Literatur der phantastischen Mondreisen bis auf die Antike
zurückführen lässt. Eine der skurrilsten Mondgeschichten stammt
jedoch aus der Feder von Oskar Panizza, dem späteren Skandalautor,
der gegen Staat und Kirche polemisierte. In diesem Zusammenhang
notorisch bekannt geworden ist vor allem sein Stück Das
Liebeskonzil (1894), das ihm ein Jahr Gefängnis wegen Blasphemie
einbrachte. Bei der Mondgeschichte, 1890 im Verlag von Georg
Müller erschienen, handelt es sich um den längsten zu Lebzeiten
erschienene Text Panizzas.
Geschildert
wird in der Ich-Form der Augenzeugenbericht eines jungen Studenten in
Leyden, der nächtens aus Liebeskummer aufs offene Feld flüchtet und
dort beobachtet, wie erst der Mond sich ruckartig bewegt, scheinbar
auf die Erde gezogen wird und dort von einem Mann vergraben wird. Um
dem Rätsel auf die Spur zu kommen, folgt der Student dem Mann,
klettert hinter ihm eine Strickleiter hinauf, die bis in den Himmel
zu führen scheint. Die Luft wird immer dünner, bis er schließlich in einer runden Baracke ankommt, die weit über der Erde schwebt.
Zwei Monate lang hält sich der Student dort versteckt und observiert
das seltsame Treiben in dem Gehäuse, von dem er annimmt, dass es
sich um den von der Erde her vertrauten Mond handeln muss.
Bewohnt
ist die schwebende Holzkugel vom einem keifenden Ehepaar mit zwölf Kindern. Sie
ernähren sich ausschließlich von Käse, weshalb ihre Gesichter
selbst schon ganz rund und gelblich sind. Nach und nach stellt sich
heraus, dass der Mondmann einmal im Monat, nachdem ihm die Sonne die äußere Pechhülle des Hauses versengt hat, auf die Erde
hinuntersteigt und dabei die brennende Pechschicht mitnimmt, um sie
auf einem Feld zu begraben. Gleichzeitig nutzt er den Aufenthalt auf
der Erde, die er mit seiner Familie den „großen Käse“ nennt, um
sich mit Proviant (ausschließlich holländischer Käse) und
Gebrauchsgegenständen versorgt, die er nachts unbemerkt mitlaufen
lässt.
Das
alles klingt natürlich phantastisch genug, doch der Erzähler
versucht mit allen Mitteln die Glaubwürdigkeit seiner Erlebnisse zu
beteuern. Der Text ist deshalb mit zahlreichen Authentizitätssignalen
– darunter auch ein frühes Beispiel (vor Joyce, Schnitzler und
Virginia Woolf!) einer Gedankenstromtechnik – ausgestattet, was
mitunter zu umständlichen Erklärungen und einer Detailversessenheit
führen, die aber alle im Dienst stehen, das Erzählte als wahr
erscheinen zu lassen. Zuletzt versteigt sich der Student in eine
waghalsige Theorie, der Mond sei nichts anderes als ein Räubernest,
wo sich seit den Assyrern ein Zigeunergeschlecht eingenistet habe, um
nicht entdeckt zu werden. Was wir von der Erde als Mond wahrnehmen
sei bloß der Korb eines ungeheuren Ballons, mit dem die Zigeuner von
der Erde geflohen sind und der jetzt als Trabant um die Erde kreist.
Auch diese Theorie wird in aller Ausführlichkeit und mit allen
möglichen Einwänden vorgebracht und erwogen. In dieser Mischung
zwischen absoluter Phantastik und pseudo-wissenschaftlicher
Genauigkeit der Darstellung liegt der Reiz des Textes, der durch eine
geschickte Leserführung überdies nie an Spannung einbüßt. Ganz
offensichtlich stand – der einmal sogar namentlich erwähnte –
Edgar Allan Poe (bzw. dessen Erzählung über die Abenteuer von
Hans Pfaall) Pate für diese phantastische Reise zum Mond.
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