Wie
viele Intellektuelle seiner Zeit reagierte auch der junge Jean
Cocteau zunächst mit Begeisterung auf den Ausbruch des Ersten
Weltkrieges. Er sah darin eine willkommene Gelegenheit, sich von
seiner bürgerlichen Herkunft zu lösen. Doch die erste Ephorie wich
bald einer Ernüchterung, als er als freiwilliger Hilfssanitäter bei
den Marinesoldaten die Kriegsgreuel hautnah erlebte. Die
erschreckenden Erfahrungen verarbeitete Cocteau später in seinem
Roman Thomas, der Schwindler, doch
weder direkt anklagend noch moralisierend, auch nicht als
Betroffenheitsprosa, sondern in einer zuweilen fast märchenhaften
Geschichte. Im
Vordergrund steht die Kritik an der eigenen Blauäuigkeit, mit der
man sich damals ins Getümmel stürzte.
In
der Figur von Thomas findet diese Blauäuigkeit ihre literarische
Verkörperung. Thomas ist ein Junge von noch kindlichem Gemüt, aber
gerade deswegen auch von einer so einnehmenden Art, dass er der
Mitwelt mühelos vormachen kann, was er will. Er ist nicht der
klassische Hochstapler, der andere zu seinem Vorteil betrügt,
sondern ein Schwindler, der sich selbst in sein Lügengebilde verstrickt: „Man sieht, zu welcher Sorte von Schwindlern unser
junger Guillaume gehört. Eine Sorte, der man eine Sonderstellung
einräumen muß. Sie leben halb im Traum. Ihr Betrug setzt sie nicht
herab, sondern rückt sie eher hinauf. Guillaumes Betrug war ohne
Arg. Und es wird sich noch zeigen, daß er sein eigenes Opfer wurde.
Er hielt sich für etwas, das er nicht war, wie ein Kind sich für
Kutscher oder Pferd hält.“
Obwohl Thomas erst
sechszehnjährig ist, glaubt er sich auf die Artillerieschule
vorbereiten zu müssen. Als er zufällig in ein improvisiertes
Lazarett gerät, gibt er vor, der Neffe des berühmten Genereals
Fontenoy zu sein, was ihm sofort zu großem Ansehen verhilft. Der
Name wird für ihn zum Schibboleth, das ihm alle Türen öffnet.
So gelangt er schließlich mitten auf den Kriegsschauplatz in die
Schützengräben. Von einem Bataillon von Marinefüsilieren wird er
wie ein „Fetisch“ aufgenommen und wie ein „Abgott“ verehrt,
so dass Thomas sich in jugendlicher Schwärmerei „in das Bataillon
verliebt“. Noch immer versteht er den Krieg mehr als Spiel, selbst
als sein Kamerad einem Schuss zum Opfer fällt. Bald darauf ereilt Thomas dasselbe
Schicksal. Doch noch im Moment, als ihm die Kugel die
Brust durchbohrt, hält er es nicht für real: „Wahn und
Wirklichkeit waren nur noch eins in ihm.“
Zwei rivalisierende Frauen
begleiten Thomas auf seinem Schicksalsweg. Die Prinzessien Clémence
de Bromes und Madame Valiche. Beide zieht es als Sanitäterinnen
ebenfalls magisch an die Front, weil sie sich ein grosses Abenteuer
davon versprechen. Insbesondere die Prinzessin neigt dazu, das
Kriegsschauspiel zu ästhetisieren, was in Metaphern und Vergleichen
aus der Theaterwelt zum Ausdruck kommt: „Sie betraten die Kulissen
des Dramas. Die Bühne kam immer näher.“ Oder: „Die Kulissen,
dachte sie bei sich selbst. Das sind die Schauspieler, die Statisten,
die sich ankleiden.“ Mit dieser naiven Haltung markiert die
Prinzessin das weibliche Pendant zu Thomas. Wie dieser „wie ein
Schlafwandler“ handelt, so agiert auch die Prinzessin wie eine
„blinde Hellseherin“, die von Visionen getrieben wird, ohne die
unmittelbare Realität zu erkennen.
Aus diesem Grund bleibt ihr lange
verborgen, dass sich ihre Tochter Henriette unsterblich in Thomas
verliebt hat. Zwar erwidert dieser zunächst ihre Neigung, gibt sich dann aber bedingungslos
dem Soldatenleben hin. Seine Libido gilt allein seinem ihn abgöttisch verehrenden Bataillon. Verzweifelt will Henriette ihm ihre Liebe gestehen, doch der Brief erreicht ihn nicht mehr rechtzeitig vor seinem unheroischen Tod. Stattdessen wird ihr und ihrer Mutter die
Todesnachricht von der schadenfreudigen Madame Valiche überbracht. Wie Mutter und Tochter
„wilde Schreie“ ausstoßen und ihre Kleider zerreißen, besitzt
fast das Ausmass einer antiken Tragödie. Insofern ist es mehr als
nur eine Redewendung, wenn Madame Valiche zum Schluss dem
Journalisten Presquel-Duport, der das Schauspiel mit distanzierter Kaltblütigkeit betrachtet, bewundernd zuruft: „Sie sind ein Gott.“
Presquel-Duport antwortet darauf mit der zynisch-distanzierten Bemerkung: "Es gibt keine Götter, Madame. Ich sehe die Dinge, wie sie sind; das ist alles." Mit dieser Aussage, die die Gottlosigkeit des Kriegs gleichermaßen wie die Gleichgültigkeit gegenüber dem Schrecken betont, endet der Roman.
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