Montag, 10. Juli 2017

Albert Vigoleis Thelen: Sargmacher Quirinus (1930)

Sargmacher Quirinus ist die erste Novelle des damals 27jährigen Albert Vigoleis Thelen, dessen späterer Roman Die Insel des zweiten Gesichts (1953) zu den sprachmächtigsten Prosawerken der humoristischen Erzählliteratur im 20. Jahrhundert zählt. Davon ist der frühen Novelle kaum etwas anzumerken. Sie wirkt eher wie ein spätes symbolistisches Hurenkind. Was fehlt, sind die Sprachkomik, für die Thelen berühmt wurde, sowie das autofiktionale Spiel seiner Texte. In fast legendenhafter Strenge und versehen mit einem leicht wehmütigen Ton schildert ein nicht eigens markierter Erzähler die unerhörte Begebenheit aus dem ansonsten gleichförmigen Leben des Sargmachers. Kontrastreicher hätte man den Wechsel zwischen dem Iterativen des Immergleichen und dem unerwarteten Ereignis auch kaum ausgestalten können.

Quirinus gehört einer Sargmacherdynastie an, die seit Generation die Meisterschaft in einer kontinuierlichen Linie vom Vater auf den Sohn übergibt. Wann immer ein Vater im Sterben liegt, zimmert der Sohn innerhalb eines Tages dessen Sarg und übernimmt das Geschäft. So geht es seit Anbeginn und auf diese Weise erlangt auch Quirinus seine Meisterschaft. Doch nicht allein das Erlernen des Handwerks geht auf den Nachkommen über, sondern auch eine philosophische Ader, die von einem besonderen Blut durchpulst ist, wie der Vater und nach ihm sein Sohn mehrfach betonen: „Es ist das Kneemeyersche, das wir im Blute haben“.

Kennzeichnend dafür ist eine Sensibilität für das Thema des Todes, das – getreu nach dem Motto „Philosophieren heisst sterben lernen“ – die Kneemeyers ihr Handwerk pietätvoll und mit einer tiefen Ehrfurcht verrichten lässt. Dieses spezielle Gespür ist bei Quirinus stärker ausgeprägt, neigt er doch weit mehr als seine Vorfahren zum Grüblen, was sich auch in seiner Arbeit niederschlägt. Er sieht seine Aufgabe darin, den Sarg dem Toten gewissermassen auf den Leib zu schneidern: ihm je nach Lebenswandel und Sterbensart einen individuell zugerichtete „letzte Kammer“ zu schaffen: „Und das ist die Kunst, [...] das Kneemeyersche, das wir im Blute haben: einem toten Menschen anzusehen, wie ihm das Leben fortging.“

Dieses Kneemeyersche Blut gerät eines Tages unverhofft in Wallung, als Quirinus vom benachbarten Bäcker beobachtet wird, wie er ein paar alte Kistenbretter auf dem Markt zusammenliest und in sein Wägelchen legt. Der bullige Bäcker spottet bei diesem Anblick: „Unser Meister Nachbar, der heilige Quirinus, er sammelt sich das Holz für seine Särge.“ Eine solche Verhöhnung beleidigt nicht nur den Berufsehre des Sargmachers, sondern sein ganzes väterliches Erbe. Er wird, wie es im Text heißt, „bis aufs Blut“ gereizt, bis auf jenes Blut eben, das ihn in seiner Existenz auszeichnet. Wie „ein Tigertier“ springt er dem Bäcker an die Gurgel, der ihn aber bloß wie ein lästiges Insekt abschüttelt und ihn dabei so zugerichtet, dass Quirinus wochenlang das Bett hüten muss.

Obwohl er dank seinem „Kneemeyerschen Blut“, das wie ein „Lebenselixier“ wirkt, körperlich wieder genesen ist, bleibt doch ein seelischer Schaden zurück, der niemals wieder heilt. So bangt Quirinus in den Todesstunden noch, ob sein Sohn ihm vielleicht ein Sarg aus Brettern bauen wird, die er „wie ein Bettler“ auf dem Markt zusammen gelesen habe. Doch die Erzählung endet zuversichtlich: Im Sohn regt sich im selben Moment das familiäre Blut und er beginnt stillschweigend, aber mit einer vor „Inbrunst“ geschwellten Seele sein Erbe anzutreten. So nimmt die Tradition unverändert ihren Lauf, als sei nichts gewesen. Das Blut erweist sich stärker als das böse Wort.

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