Sargmacher
Quirinus ist die erste Novelle des damals 27jährigen Albert Vigoleis
Thelen, dessen späterer Roman Die Insel des zweiten Gesichts
(1953) zu den sprachmächtigsten Prosawerken der humoristischen
Erzählliteratur im 20. Jahrhundert zählt. Davon ist der frühen
Novelle kaum etwas anzumerken. Sie wirkt eher wie ein spätes symbolistisches Hurenkind. Was fehlt, sind die Sprachkomik, für
die Thelen berühmt wurde, sowie das autofiktionale Spiel seiner
Texte. In fast legendenhafter Strenge und versehen mit einem leicht
wehmütigen Ton schildert ein nicht eigens markierter Erzähler die
unerhörte Begebenheit aus dem ansonsten gleichförmigen Leben des
Sargmachers. Kontrastreicher hätte man den Wechsel zwischen dem Iterativen
des Immergleichen und dem unerwarteten Ereignis auch kaum ausgestalten
können.
Quirinus
gehört einer Sargmacherdynastie an, die seit Generation die
Meisterschaft in einer kontinuierlichen Linie vom Vater auf den Sohn
übergibt. Wann immer ein Vater im Sterben liegt, zimmert der Sohn
innerhalb eines Tages dessen Sarg und übernimmt das Geschäft. So
geht es seit Anbeginn und auf diese Weise erlangt auch Quirinus seine
Meisterschaft. Doch nicht allein das Erlernen des Handwerks geht auf
den Nachkommen über, sondern auch eine philosophische Ader, die von
einem besonderen Blut durchpulst ist, wie der Vater und nach ihm sein
Sohn mehrfach betonen: „Es ist das Kneemeyersche, das wir im Blute
haben“.
Kennzeichnend
dafür ist eine Sensibilität für das Thema des Todes, das –
getreu nach dem Motto „Philosophieren heisst sterben lernen“ –
die Kneemeyers ihr Handwerk pietätvoll und mit einer tiefen
Ehrfurcht verrichten lässt. Dieses spezielle Gespür ist bei
Quirinus stärker ausgeprägt, neigt er doch weit mehr als seine
Vorfahren zum Grüblen, was sich auch in seiner Arbeit niederschlägt.
Er sieht seine Aufgabe darin, den Sarg dem Toten gewissermassen auf
den Leib zu schneidern: ihm je nach Lebenswandel und Sterbensart
einen individuell zugerichtete „letzte Kammer“ zu schaffen: „Und
das ist die Kunst, [...] das Kneemeyersche, das wir im Blute haben:
einem toten Menschen anzusehen, wie ihm das Leben fortging.“
Dieses
Kneemeyersche Blut gerät eines Tages unverhofft in Wallung, als
Quirinus vom benachbarten Bäcker beobachtet wird, wie er ein paar alte
Kistenbretter auf dem Markt zusammenliest und in sein Wägelchen
legt. Der bullige Bäcker spottet bei diesem Anblick: „Unser
Meister Nachbar, der heilige Quirinus, er sammelt sich das Holz für
seine Särge.“ Eine solche Verhöhnung beleidigt nicht nur den
Berufsehre des Sargmachers, sondern sein ganzes väterliches Erbe. Er
wird, wie es im Text heißt, „bis aufs Blut“ gereizt, bis auf
jenes Blut eben, das ihn in seiner Existenz auszeichnet. Wie „ein
Tigertier“ springt er dem Bäcker an die Gurgel, der ihn aber bloß wie ein lästiges Insekt abschüttelt und ihn dabei so zugerichtet,
dass Quirinus wochenlang das Bett hüten muss.
Obwohl
er dank seinem „Kneemeyerschen Blut“, das wie ein „Lebenselixier“
wirkt, körperlich wieder genesen ist, bleibt doch ein seelischer
Schaden zurück, der niemals wieder heilt. So bangt Quirinus in den
Todesstunden noch, ob sein Sohn ihm vielleicht ein Sarg aus Brettern
bauen wird, die er „wie ein Bettler“ auf dem Markt zusammen
gelesen habe. Doch die Erzählung endet zuversichtlich: Im Sohn regt
sich im selben Moment das familiäre Blut und er beginnt
stillschweigend, aber mit einer vor „Inbrunst“ geschwellten Seele
sein Erbe anzutreten. So nimmt die Tradition unverändert ihren Lauf,
als sei nichts gewesen. Das Blut erweist sich stärker als das böse
Wort.
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