Diese
kurze Geschichte, die in der Erstausgabe knapp drei Dutzend Seiten
umfasst (und deshalb mit Die wilde Jagd durch einen weiteren
Text ergänzt werden musste), einen Roman zu nennen, ist eine
masslose Übertreibung, erst recht, wenn er sogar als „Protzenroman“
ausgewiesen wird. Doch solche Spezifierungen der Romanprosa sind ein
Markenzeichen Scheerbarts, der sich auch für einen Asteroiden-Roman,
einen Nilpferd-Roman, einen Königsroman etc. verantwortlich zeigt.
Inhaltlich bringt der Roman die typisch Scheerbartsche Mischung
zwischen Nonsens, Utopie, Science Fiction, Phantastik, Parabel und
Satire.
Die
Geschichte selbst ist so rasch nacherzählt, dass sie fast lachhaft abstrus wirkt: Unzufrieden mit seiner
Erfindungsabteilung, entlässt der steinreiche Rakkóx sein Obergenie
Schultze VII. und heuert stattdessen den jungen Erfinder Kasimir
Stummel an, der den Billionär dazu bewegt, in „Kolossalbauten“
zu investieren. Der wahnsinnige Schultze, der die von Rakkóx
ausgesprochene Beleidigung „Rhinozeros!“ nie verdaut hat, will sich rächen und verbündet sich zu diesem
Zweck mit dem Kaiser von China, um das Bauprojekt zu sabotieren, was in Ansätzen auch gelingt. Die Geschichte endet abrupt damit,
dass Schultze eine Horde blutrünstiger Indianer auf Rakkóx loshetzt, die ihn richtiggehend zerfleischen, während Schultze mit dem wütenden Ausruf „Rhinozeros!“ triumphiert.
Daraufhin folgt der kollektive Niedergang. Rakkóx
Billionen werden restlos verteilt, die von Stummel errichteten
Gebäude zerfallen und Schultze versinkt in Selbstverachtung. Allein
Peking triumphiert und kürt den Kehrreim „Sic transit gloria
Rakkóxi“ zur populären Siegeshymne. So endet die Erzählung ohne
besondere Moral oder Pointe, sondern so unerwartet und unmotiviert,
wie sich oft auch die Handlung fortentwickelt. Auch im Namen Rakkóx dürfte kein versteckter Hintersinn, nur purer Sprachklang stecken. Scheerbart - der vor den Dadaisten erste Lautgedichte verfasste - demonstriert auch in dieser Erzählung die radikale Autonomie der Erfindung, die sich keiner Logik verpflichtet fühlt.
Alles
scheint in Scheerbarts Geschichten möglich ohne die mindeste
Rücksicht auf Wirklichkeitsbezug. Mit wenigen Worten werden ganze Welten errichtet oder wieder zum Einsturz gebracht. Wenn Schultze beschließt, den
chinesischen Kaiser für seine Sache zu gewinnen, dann ist das mit
einem lapidaren Satz getan. Umgekehrt gibt es längere deskriptive Passagen, die Interieurs von Rakkóx Domizil in allen nur erdenklichen Einzelheiten
schildern. Ob solche arabesken Ausschmückungen oder phantastisch rasante Handlungsverläufe - in beiden Fällen dominiert die Fabulierfreude
über die Plausibilität der Geschichte.
Damit
sei nicht gesagt, dass Scheerbarts Prosa sinnlos und ohne allen
Zusammenhang wäre. Im narrativen Gewimmel finden sich immer auch
wieder kleinere Exkurse mit Überlegungen, hier zum Beispiel visionär zur
submaritimen Kriegsführung, politisch zum Nationalismus sowie psychologisch zu verschiedenen
Arten des Humors: Die drei Protagonisten verkörpern alle eine spezielle humoristische Ausprägung: Schultze den aggressiven Humor, Stummel
eine geschäftliche Art des Humors und Rakkóx schließlich den
unfreiwilligen Humor.
Rakkóx,
darüber alles andere als glücklich, beklagt diesen Zustand mit folgenden Worten: „Ich habe das fatale Talent, bei jedem nur die lächerlichen
Seiten zu sehen – und was man belachen kann, nimmt man nicht krumm.
Doch durch diese Gutmütigkeit verliert man den Respekt. Die Leute
glauben schließlich
nicht, daß man mehr will
– als Lachenkönnen.“ Diese Aussage trifft in Analogie auch auf
den Autor zu: Auch seine Inklination zum Humoresken und
Phantastischen ist mitunter so stark, dass man gar nicht auf die Idee
kommt, es könne mehr als Jux und Dallerei dahinterstecken.
So könnte man im Billionär Rakkóx letztlich auch ein verstecktes Selbstporträts Scheerbarts sehen, der über einen unendlichen (Sprach-)Reichtum verfügt, mit dem er nicht weniger verschwenderisch umgeht als sein Protagonist. Das Resultat sind Texte, die wie Rakkóx Teppiche mit "Millionen geheimnisvoller Zeichen" versehen sind, die zu betrachten bzw. lesen eine gewisse Faszinationskraft ausüben kann, die zu verstehen aber eine vielleicht vergebliche Herausforderung darstellt.
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