Das schmale Büchlein ist in der zweiten Person Singular in Form eines Abschiedsbriefs oder Nachrufs direkt an den Selbstmörder adressiert. Es handelt sich um eine Art Erinnerungsstrom, in dem Reminiszenzen an das Leben und den Charakter des Toten sich mit der Frage vermischen, weshalb er sich das Leben genommen hat. Der Autor findet eine klare Antwort ebenso wenig wie er eine systematische Rekonstruktion vornimmt. Was er bietet, sind einzelne Splitter, die oft ohne näheren Zusammenhang lose nacheinander folgen. Das sei die einzige Möglichkeit, dem toten Freund gerecht zu werden, wie es an einer Stelle heisst: "Dein Leben in einer zusammenhängenden Ordnung zu beschreiben, wäre absurd. Die Gelegenheit macht die Erinnerung an dich. Mein Hirn lässt dich so zufällig in Details auferstehen, wie man Murmeln aus einem Beutel fischt."
So entsteht das Porträt eines introvertierten, wortkargen, grüblerischen und zurückgezogenen Menschen, der aber doch - und es lässt sich vermuten: mehr nolens als volens - an dem gesellschaftlichen Leben teilnimmt, sich kreativ als Musiker betätigt, ein Wirtschaftsstudium beginnt, Tennis spielt, Freunde hat und sich sogar verheiratet, bevor er sich eines Tages entschliesst, einen Gewehrlauf in den Mund zu stecken und abzudrücken. Auf dem Küchentisch hinterliess er einen Comic, dessen aufgeschlagene Seite mutmasslich eine Abschiedsbotschaft enthielt. Doch seine Frau stösst das Heft aus Panik versehentlich um, als sie den Leichnam entdeckt. Seither versucht der Vater krampfhaft herauszufinden, was sein Sohn mitteilen wollte; er füllt Aktenordner mit Indizien und Hinweisen, natürlich vergeblich. Auf diesem Weg lässt sich keinen Sinn in eine Tat bringen, die radikal unbegreiflich ist.
Levé verzichtet deshalb darauf, die Sinnfrage explizit zu stellen. Zwischen den Zeilen jedoch deutet er an, was seinen Freund bewogen haben könnte, sich vorzeitig aus der Welt zu stehlen. So geht aus dem Text hervor, dass der Freund depressiv war und einen geringen Lebenswillen hatte. Für ihn bedeutete seine Existenz ein Rollenspiel, das er nur zum Schein aufrecht erhielt. Er kam mit einer offenen Zukunft schlecht zu recht, er träumte von einem bis zum letzten Tag durchgeplanten Terminkalender. Eindrücklich belegt diese mangelnde Lebensfähigkeit eine der stärksten Passagen des Essays: die Beschreibung seiner Inklination zu Obdachlosen. Hier sah der Freund ein Ideal erfüllt, dem er innerlich gerne gefolgt wäre: die Tendenz zur Verwahrlosung, die Befreiung von allen gesellschaftlichen Zwängen und Pflichten, sich von "allen Dingen, allen Menschen und von der Zeit" zu lösen. Ein Selbstmord "in Zeitlupe". Der Freund wählte schliesslich den rascheren Exitus.
Der Essay ist ohne Pathos und Klage verfasst, trotzdem lässt es nicht unberührt, wie hier Levé mit grossem Einfühlungsvermögen vorgeht und erst postum, als es längst zu spät ist, die Ausweglosigkeit seines Freundes erkennt. Die direkte Anrede an den Toten evoziert manchmal eine gewisse Rührseligkeit, die an manchen Stellen, wo der Text nicht über Plattitüden hinausgelangt, an Kitsch grenzen könnte, wenn da nicht ein Umstand wäre, der ihm eine existentielle Wucht verleiht. Levé hat kurz nach der Niederschrift des Textes mit 42 Jahren selbst Suizid verübt. Offenbar steckt in der Schilderung des Freundes viel vom Autor selbst und er hat ein Teil seiner eigenen Befindlichkeit auf ihn projiziert. Vielleicht deshalb besass er eine besondere Sensitivität für das Bewusstsein eines Selbstmörders, weil er sich selbst zu diesem Schritt prädestiniert fühlte. Somit hinterlässt Levé ein doppeltes Vermächtnis: dasjenige seines Freundes und sein eigenes.