Freitag, 27. September 2024

Édouard Levé: Selbstmord (2008)

Das schmale Büchlein ist in der zweiten Person Singular in Form eines Abschiedsbriefs oder Nachrufs direkt an den Selbstmörder adressiert. Es handelt sich um eine Art Erinnerungsstrom, in dem Reminiszenzen an das Leben und den Charakter des Toten sich mit der Frage vermischen, weshalb er sich das Leben genommen hat. Der Autor findet eine klare Antwort ebenso wenig wie er eine systematische Rekonstruktion vornimmt. Was er bietet, sind einzelne Splitter, die oft ohne näheren Zusammenhang lose nacheinander folgen. Das sei die einzige Möglichkeit, dem toten Freund gerecht zu werden, wie es an einer Stelle heisst: "Dein Leben in einer zusammenhängenden Ordnung zu beschreiben, wäre absurd. Die Gelegenheit macht die Erinnerung an dich. Mein Hirn lässt dich so zufällig in Details auferstehen, wie man Murmeln aus einem Beutel fischt."

So entsteht das Porträt eines introvertierten, wortkargen, grüblerischen und zurückgezogenen Menschen, der aber doch - und es lässt sich vermuten: mehr nolens als volens - an dem gesellschaftlichen Leben teilnimmt, sich kreativ als Musiker betätigt, ein Wirtschaftsstudium beginnt, Tennis spielt, Freunde hat und sich sogar verheiratet, bevor er sich eines Tages entschliesst, einen Gewehrlauf in den Mund zu stecken und abzudrücken. Auf dem Küchentisch hinterliess er einen Comic, dessen aufgeschlagene Seite mutmasslich eine Abschiedsbotschaft enthielt. Doch seine Frau stösst das Heft aus Panik versehentlich um, als sie den Leichnam entdeckt. Seither versucht der Vater krampfhaft herauszufinden, was sein Sohn mitteilen wollte; er füllt Aktenordner mit Indizien und Hinweisen, natürlich vergeblich. Auf diesem Weg lässt sich keinen Sinn in eine Tat bringen, die radikal unbegreiflich ist.

Levé verzichtet deshalb darauf, die Sinnfrage explizit zu stellen. Zwischen den Zeilen jedoch deutet er an, was seinen Freund bewogen haben könnte, sich vorzeitig aus der Welt zu stehlen. So geht aus dem Text hervor, dass der Freund depressiv war und einen geringen Lebenswillen hatte. Für ihn bedeutete seine Existenz ein Rollenspiel, das er nur zum Schein aufrecht erhielt. Er kam mit einer offenen Zukunft schlecht zu recht, er träumte von einem bis zum letzten Tag durchgeplanten Terminkalender. Eindrücklich belegt diese mangelnde Lebensfähigkeit eine der stärksten Passagen des Essays: die Beschreibung seiner Inklination zu Obdachlosen. Hier sah der Freund ein Ideal erfüllt, dem er innerlich gerne gefolgt wäre: die Tendenz zur Verwahrlosung, die Befreiung von allen gesellschaftlichen Zwängen und Pflichten, sich von "allen Dingen, allen Menschen und von der Zeit" zu lösen. Ein Selbstmord "in Zeitlupe". Der Freund wählte schliesslich den rascheren Exitus.

Der Essay ist ohne Pathos und Klage verfasst, trotzdem lässt es nicht unberührt, wie hier Levé mit grossem Einfühlungsvermögen vorgeht und erst postum, als es längst zu spät ist, die Ausweglosigkeit seines Freundes erkennt. Die direkte Anrede an den Toten evoziert manchmal eine gewisse Rührseligkeit, die an manchen Stellen, wo der Text nicht über Plattitüden hinausgelangt, an Kitsch grenzen könnte, wenn da nicht ein Umstand wäre, der ihm eine existentielle Wucht verleiht. Levé hat kurz nach der Niederschrift des Textes mit 42 Jahren selbst Suizid verübt. Offenbar steckt in der Schilderung des Freundes viel vom Autor selbst und er hat ein Teil seiner eigenen Befindlichkeit auf ihn projiziert. Vielleicht deshalb besass er eine besondere Sensitivität für das Bewusstsein eines Selbstmörders, weil er sich selbst zu diesem Schritt prädestiniert fühlte. Somit hinterlässt Levé ein doppeltes Vermächtnis: dasjenige seines Freundes und sein eigenes.

Mittwoch, 25. September 2024

Jerzy Kosinski: Der bemalte Vogel (1965)

Ein Buch von unglaublicher Brutalität. Geschildert wird es aus der Perspektive eines kleinen polnischen Jungen, der bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs von seinen Eltern in fremde Obhut gegeben wird, in der Hoffnung ihn dadurch vor dem Schlimmsten zu bewahren. Doch was der Knabe in den Dörfern, in denen er jeweils Unterschlupf findet, erlebt, steht den Schrecken und Grausamkeiten in den Konzentrationslagern in nichts nach. Aufgrund seiner schwarzen Haare rasch als "Teufel" bzw. "Zigeunervampir" verschrien und ausgegrenzt, zeigt sich die Bevölkerung wenig gewillt, ihn bei sich aufzunehmen, aus Angst vor Repressionen von der deutschen Besatzung, wenn sich herausstellen würde, dass sie einen "jüdischen Zigeunerjungen" beschützen. Er gelangt deshalb stets nur zu Aussenseitern und prekären Randgestalten in einer ohnehin rückständigen, abergläubischen und noch vollkommen verrohten Gesellschaft, in der Mord und Totschlag zur Tagesordnung gehört.

Zu Beginn ist der stets namenlose Ich-Erzähler sechs Jahre alt, und wir begleiten ihn von Station zu Station bis ans Ende des Krieges. Der Roman schreitet so episodenhaft voran. Jedes Kapitel ist einer anderen Unterkunft gewidmet, wo der Junge erneut entweder zum Zeugen oder gar selbst zum Opfer von Gewaltverbrechen wird, weshalb er sich genötigt sieht, seinen Standort rasch wieder zu wechseln, oft ein Bild der Verwüstung hinter sich lassend. Ein abergläubisches Weib gräbt ihn bis zum Kopf im Boden ein und lässt ihn über Tage dort stecken, während ihn schon die Raben belagern und piesacken, weil sie dadurch eine Seuche abzuwenden hofft. Später muss er zusehen, wie ein betrunkener Bauer seinem Knecht aus Eifersucht mit einem Löffel die Augäpfel aussticht und sie nachher ,zerquetscht. Auch üble Schändungen und Vergewaltigungen bis hin zu Tötungen spielen sich mehrfach in unmittelbarer Gegenwart des Kindes ab, so dass Gewaltsamkeit und Überlebenskampf zu seinen frühesten Prägungen gehören.

Der Junge lernt, dass menschliches Leben letztlich nichts bedeutet, keinen Stellenwert besitzt. Entsprechend emotionslos werden die brutalen Vorgänge oft geschildert und in allen entsetzlichen Details ausgemalt. Dabei wird die kindliche Perspektive nicht immer konsequent durchgehalten: Manchmal scheint sie allzu naiv, dann wieder ist der erwachsende Autor dahinter erkennbar. Zudem ist den Szenerien ein gewisser sadistischer Voyeurismus nicht abzusprechen. Der menschliche Körper scheint lediglich eine träge Masse zu sein, die nach Belieben zerhackt, zermalmt, zerquetscht, verstümmelt oder von Ratten zerfressen werden kann. Organisches Verschleissmaterial. Lediglich bei der Bauerntocher Ewka, die ihn in ihre Liebeskünste einführt, erlebt er kurze Zeit so etwas wie menschliche Nähe. Doch auch diese Illusion zerbricht, als er eines Abends entdeckt, wie sie es gezwungenermassen, aber leidenschaftlich mit einem Ziegenbock treibt. Den Kulminationspunkt erreicht der widerwärtige Reigen, als der Junge, nachdem er durch eine Ungeschicklichkeit das Hochamt in der Kirche aufstörte, von der wütenden Meute in die Fäkalgrube getaucht wird und dabei seine Stimme verliert.

Gegen Ende des Krieges kommt der Junge bei einer Truppe sowjetischer Soldaten unter und freundet sich insbesondere mit Gavrila an, der ihm Lesen und Schreiben beibringt und ihn mit kommunistischen Lehren indoktriniert, so dass auch der mittlerweile 12jährige Junge zu einem glühenden Verehrer Stalins wird. Hier sieht er einen rettenden Ausgang aus dem primitiven Volk, bezahlt die erhoffte Freiheit aber mit einer ideologischen Gefangenschaft. Wie der Erzähler einmal hellsichtig bemerkt, kennt auch der Kommunismus seine Ausgrenzungspolitik, wenngleich sie nicht von der Ethnie, sondern von der sozialen Klasse abhängt. Aus diesem Grund möchte der Junge nicht zurück zu seinen besser gestellten Eltern, als er nach dem Krieg ins Kinderheim gesteckt wird. Dort reproduziert sich die Brutalität der Kriegserfahrung unter den traumatisierten Kindern; auch sie verhalten sich nach dem Prinzip von homo homini lupus. Den einzigen Moment wahrer Freiheit erlebt der Junge lediglich bei einer Mutprobe, wenn er sich bei einem herannahenden Zug aufs Geleise legt, so dass die Bahnwagen über ihn hinwegdonnern können. In diesem Moment "zählte nichts ausser der einfachen Tatsache, am Leben zu sein". Ein elementares Erlebnis.

Der Titel leitet sich ab von einer Episode relativ zu Beginn des Romans. Lekh, ein Vogelfänger, macht sich einen Spass daraus, die von ihm eingefangenen Vögel farbig anzumalen und wieder in die Freiheit zu entlassen, wo sie zu ihren Artengenossen fliegen, von diesen aber nicht mehr erkannt und deshalb zu Tode gepickt werden, bis sie leblos vom Himmel fallen. Allegorisch spiegelt sich darin auch Schicksal des Jungen, der aufgrund seines fremden, zigeunerhaften Aussehens von seinen Mitmenschen nicht akzeptiert und mitunter sogar drangsaliert wird, so dass er ständig um sein Leben fürchten muss. Mehr noch lässt sich darin sinnbildlich die Katastrophe des Genozids schlechtweg erkennen, die eine ganze Bevölkerungsgruppe in den Tod führte, weil sie nicht als gleichwertig anerkannt worden ist.

Kosinskis Roman wurde rasch als Autobiographie missverstanden, wogegen der Autor in dem Nachwort der Wiederauflage von 1976 Stellung bezieht und betont, dass es sich nicht um reale Erlebnisse handelt, dass er vielmehr eine "erfundene Welt" erschaffen wollte, ein "mythisches Land", eine "anders-weltliche Bosch-hafte Landschaft", die aber sinnbildlich eine Ahnung von der schrecklichen Wirklichkeit vermitteln wolle. Der Vergleich zu den apokalyptischen Gemälden eines Hieronymus Bosch ist treffend, was die Drastik der Darstellung angeht, im Unterschied zum niederländischen Maler fehlen bei Kosinski jedoch die phantastischen Elemente. Die von ihm geschilderten Gräuel sind nicht dämonischer, sondern rein menschlicher Natur, wofür es von verschiedenen Seiten Kritik hagelte. Seine osteuropäischen Landsleute sahen in dem Buch eine üble Verunglimpfung und hetzten gegen den aus ihrer Sicht westlich degenerierten Autor, die amerikanischen Medien wiederum hielten ihm vor, die historische Kriegssituation für seine gewaltpornographischen Phantasien zu missbrauchen. 

Donnerstag, 12. September 2024

Carl Laszlo: Ferien am Waldsee (1955)

Carl Laszlo liess sich sein Schicksal nie anmerken. In Basel war der gebürtige Ungar eine markante Erscheinung. Psychoanalytiker, Kunsthändler mit hedonistischen Zügen, stets eine Zigarre im Mundwinkel, ein gutes Glas Wein in der Hand und auch anderen Exzessen nicht abhold. Mit dem ebenfalls in Basel wohnhaften Albert Hofmann, dem Entdecker der LSD-Substanz, war er gut befreundet. Ausserdem unterhielt er rege Kontakte zur amerikanischen Kunst- und Literaturszene, zu Beat-Poeten und Popart-Künstlern, die er in seinem Panderma-Verlag oder in seiner Zeitschrift Radar portierte. Dass er als junger Mann mehrere Konzentrationslager (Auschwitz, Sachsenhausen, Buchenwald) durch- und überlebte, weiss man nur, weil er darüber ein Buch geschrieben hat.

Ein Opfer des Holocaust wollte er nie sein. Er sah sich vielmehr als Sieger, weil er nicht nur die Schrecken des KZ überstanden hat, sondern sich davon auch nicht traumatisieren liess. Es erfüllt ihn sichtlich mit Stolz, dass er seinem Schicksal die Stirn geboten und dabei nicht eingenickt ist. In die allgemeine Opferhaltung will er deshalb nicht einstimmen, da er sich als Überlebender nicht als Leidtragender betrachtet. Trotzdem hat er ein Buch über seine Lagererfahrung geschrieben, das sich allerdings radikal von der üblichen Holocaust-Literatur unterscheidet. Das liegt vor allem an der schonungslosen Darstellung und dem Verzicht auf jegliche Form der Klage und Larmoyanz. Laszlo schildert den Gang in die Hölle mit der Unerschrockenheit eines Dante - mit dem einzigen Unterschied, das hier eine reale Hölle beschrieben wird.

Ein Beispiel für den lakonischen Ton, mit dem die Ungeheuerlichkeit in Worte gefasst wird, ist dieser Satz: "Die Mittagssonne strahlte, es gab einen französischen Häftling weniger und eine namenlose Leiche mehr." Das wirkt in seiner unbeteiligten, geradezu emotionslosen Verknappung heftiger als die grellste Ausmalung aller Gräuel. Laszlo verzichtet darauf, das Unbeschreibliche in eine drastische Sprache zu kleiden, auch Pathos ist ihm fremd. Stattdessen neigt er zu Ironie und Sarkasmus, zu harten Schnitten, die deutlich machen sollen, wie - nicht weshalb: die Sinnfrage erweist sich selbst als sinnlos - das Unmenschliche im Alltag stattfinden konnte: "alles war still, man hörte nur das Knistern von Stroh und das schwere Atmen einiger Sterbender. Eine friedliche Stimmung, wie in einem Friedhof, verbreitete sich".

Diese Schnitt-Technik erfährt im Kapitel "Romeo und Julia" ihren Kulminationspunkt. Shakespeare-Zitate werden bruchlos einer Massenvernichtungsszene gegenübergestellt. Das erzählende Ich sitzt mit seinem Buch am Boden des Lagerabortes und registriert, während es liest, wie Mitinsassen in die Gaskammern ge- und die Leichen schliesslich ins Krematorium überführt werden. Der rauchende Schlott des Krematoriums ragt permanent über dem Geschehen, er ragt quasi als Mahnmal auch aus dem Buch heraus. Auch da bleibt die Erzählstimme beim bitteren Sarkasmus. Über den Tod eines "Zigeunermädchens" heisst es: "Sie hat wie Millionen andere kein Grab, winzige Teilchen ihrer Asche atmen wir täglich mit der Luft ein."

Wie schon erwähnt: Laszlo meidet die Sinnfrage, weil sie seiner Ansicht nach falsch gestellt ist: "Es kann ja nicht alles sinnlos und umsonst sein, etwas muss es ja bedeuten können, was wir hier erleben, irgendeinen Sinn wird dieser grosse Untergang in sich bergen", reflektiert das erzählende Ich einmal, doch sein Alter Ego mit dem sprechenden Namen Alieno erwidert resigniert (oder eher abgeklärt?): "Wie schön wäre es, wenn es einen Sinn gäbe." Für Laszlo ist deshalb auch klar, dass kein Buch - und sei es noch so authentisch und präzise - die ganze Wahrheit über den Holocaust darstellen könnte, dazu entziehen sich die Vorgänge in den KZ zu sehr jeglicher Vorstellungskraft. Das objektiv "richtige" Buch, das darüber geschrieben werden könnte, wäre eben so sinnlos wie die erlebte Realität. Sein einziger Inhalt: "Leichen, Leichen, Leichen, Leichen ..."

Wie erklärt sich aber der Titel: Ferien am Waldsee? Man könnte das vorschnell für einen Zynismus des Autors halten, tatsächlich ist es ein, allerdings ganz anders gearteter, Zynismus der Nazis, wie Laszlo gleich einleitend erklärt: Angehörige erhielten gelegentlich vorgedruckte Postkarten mit einer knappen nichtssagenden Botschaft und eigenhändiger Unterschrift von deportierten Familienmitgliedern; als Aufenthaltsort wies der Stempel nicht das KZ aus, sondern - als perfides Täuschungsmanöver - den fingierten Ort: "am Waldsee".






Montag, 2. September 2024

Andy Warhol: Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück (1975)

Der Titel ist natürlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Eine Philosophie im eigentlichen Sinn ist bei der Popart-Ikone nicht zu erwarten. Vielmehr versammelt das auf dem Höhepunkt seiner Karriere entstandene Buch - 1962 gründete Warhol seine Factory und er kreierte seine berühmte Siebdruck-Serie der Campell's Soup Cans - eine Fülle von Ansichten und Lebensweisheiten aus der New Yorker Party- und Glamour-Szene über Schönheit, Sex, Geld, Kleider, Kunst, Ruhm, Erfolg und was die High Society sonst noch so beschäftigt. Wie auch in seinen Kunstwerken so orientiert sich Warhol auch in seinen Maximen und Reflexionen an den gesellschaftlichen Oberflächenphänomenen, um sie subtil zu subvertieren. Dabei sind seine Ansichten zuweilen erhellend, zuweilen belanglos, immer aber unkonventionell, mitunter provokant.

Ein paar willkürlich ausgewählte Kostproben: "Der höchste Preis, den du für die Liebe zahlen musst, ist, dass du jemanden um dich hast und nicht für dich allein sein kannst, was selbstverständlich besser ist." "Ein biederes Erscheinungsbild finde ich am besten. Wenn ich nicht so 'schlecht' aussehen wollte, dann würde ich 'bieder' aussehen wollen. Das fände ich auch gut." "Bei mir geht's ran, wenn's abgeht, ab ins Bett und Schluss. Das ist der grosse Moment, auf den ich immer warte." "Ich mag Geld an der Wand. Nehmen wir an, du wolltest ein Bild für 200 000 Dollar kaufen. Ich meine, dass du das Geld an eine Schnur binden und an die Wand hängen solltest." "Ein Künstler ist jemand, der Sachen produziert, die keiner haben muss." "In deinem Schrank sollte alles mit einem Verfallsdatum versehen sein, so wie bei Milch und Butter und Illustrierten und Zeitungen, und wenn das Verfallsdatum überschritten ist, sollte man das Ding wegwerfen."

Die im Titel erwähnten Buchstaben A und B suggerieren keine enzyklopädische Ordnung, vielmehr stehen sie für die beiden Gesprächspartner A und B, wobei letzterer eine Art sokratische Hebammenfigur darstellt, die A (i.e. Andy) seine Alltagsphilosopheme entlockt. Es handelt sich also um eine platonischer Dialog im Popart-Gewand, der zuweilen Nonsens-Dialoge vorwegnimmt, wie man sie später aus Tarantino-Filmen kennt, wenn sich zwei Figuren in Nebensächlichkeiten verbeissen, wie hier etwa anhand der Frage nach der Körpergrösse von Ursula Andress: Wo A behauptet sie sei ein Zwerg, bestreitet das B vehement, wobei diverse spitzfindige Argumente aus dem Köcher gezogen werden (z.B. die mutmassliche Höhe der Absätze unter den Schlaghosen), die jedem antiken Sophisten Freude gemacht hätten.

Höhepunkt des 'philosophischen' Rundumschlags sind zweifellos die Beschreibung von Warhols Manie, alles Erdenkliche die Toilette hinunterzuspülen bei gleichzeitiger Angstlust, dass es die Toilette verstopfen und wieder zum Vorschein kommen könne, sowie das Bekenntnis seines Unterhosen-Fetisch. Der Unterhosenkauf besitzt für Warhol eine nachgerade existenzielle Komponente: "Ich meine, ich würde lieber zusehen, wie einer seine Unterhosen kauft, als dass ich ein Buch lesen wollte, das er geschrieben hat." Seine Menschenkenntnis leitet Warhol auch hier vom Konsumgut ab, wobei es sich bei der Unterhose paradoxerweise um Intimwäsche und Warenartikel zugleich handelt, das Innere und Äussere also quasi dialektisch vermittelt.

Als wahrhaft philosophisch erweisen sich Warhols Reflexionen schliesslich dort, wo er ein Alltags-Mysterium thematisiert, das bis heute wohl alle auch regelmässig beschäftigt, auf das er aber ebenso wenig eine befriedigende Antwort finden: Weshalb verschwinden beim Waschen ständig Socken in der Maschine? Und wohin verschwinden sie? "Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger kann ich an die abnehmende Zahl glauben. Das ist einfach nicht zu glauben!" Theoretisch zu ergründen offenbar auch nicht. Es bleibt ein Stück unbewältigte Metaphysik.

Dienstag, 27. August 2024

John Hawkes: Travestie (1976)

Ein Buch, das einen von der ersten Seite an fraglos und unmittelbar fesselt. Und das obschon die gesamte Erzählanlage hochgradig unrealistisch ist. Handelt es sich doch um einen einzigen langen Monolog, in Echtzeit vorgetragen, und zwar am Steuer eines mit Hochgeschwindigkeit fahrenden Autos. Auf dem Nebensitz befindet sich ein renommierter Lyriker, der nicht nur ein Verhältnis mit der Frau des Autofahrers, sondern auch mit dessen Tochter einging, die sich hinten auf dem Rücksitz verkriecht und aus Todesangst irgendwann übergeben muss. Der Fahrer nimmt beide mit auf eine letale Amokfahrt durch die Nacht mit dem erklärten Ziel, den Wagen am Ende mit allen Insassen gegen die Mauer einer alten Scheune prallen zu lassen und damit seine "private Apokalypse" herbeizuführen. Ein acte gratuit, wie der Fahrer selber zugibt, absurd und sinnlos: "was jetzt geschieht, muss jedem, ausser vielleicht den Insassen des zerstörten Wagens, unsinnig erscheinen".

Das literarische Motiv ist durch den Futurismus vorgeprägt. Tommaso Marinetti schildert im ersten Futuristischen Manifest eine ebenso waghalsige Autofahrt, die letztlich auch im (schier tödlichen) Unfall mündet, aus dem der Fahrer, aber - gestählt durch seinen Wagemut - als neuer Mensch hervorgeht. Der Crash als schöpferischer Akt und als Wiedergeburt. Einen ähnlich (pro)kreativen Effekt verspricht sich der Fahrer von dem nächtlichen Todesritt, den er mit dem Liebhaber seiner Frau und Tochter unternimmt. Nicht Eifersucht sei sein psychologisches Motiv, wie er beteuert, auch nicht Rache oder Strafe. Aus der schier endlosen Suada, die der Monolog- und Autoführer von sich gibt, geht sein Motiv zwar nicht restlos hervor, dafür umso deutlicher seine Perversionen. Insbesondere lässt sie tief blicken, was seinen Hang zum Sadismus betrifft.

Gleich zu Beginn bekennt er, ihn habe als Jugendlicher nichts so sehr fasziniert, wie verstümmelte Leichenbilder und Pinups. Die Kombination von Gewalt und Erotik hat ihn schon früh geprägt. Ihren Höhepunkt erreicht sie in der Affäre mit Monique, die er eines Abends mutwillig übers Knie legt und verdrischt, aus Revanche dann von ihr ungleich brutaler mit dem Gürtel gezüchtigt wird, was ihn aber zur Erkenntnis führt, dass "im Sadismus Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung" liege. Im Vergleich zu diesem Flagellantismus stellt die Todesfahrt für ihn die ultimative Ekstase dar, nachdem er jahrelang die Affäre des Lyrikers mit seiner Frau und Tochter nicht nur toleriert, sondern auf seine perverse Art auch gefördert und mitverfolgt hat, nur um alle (auch sich selbst) im entscheidenden Augenblick auszulöschen.

Weshalb aber heisst der schmale, von Jürg Laederach bravourös ins Deutsche übertragene Roman "Travestie"? Als literarisches Verfahren versteht man darunter die komische Verfremdung eines klassischen Stoffes. In diesem Fall ist es das bürgerliche Eifersuchtsdrama, das hier karnevalesk verkehrt wird. Keine heimlichen Liebschaften, kein offenes Duell unter Ehrenmännern, sondern eine perverse (und das heisst auf lateinisch wörtlich: verkehrte, also travestierte) und von langer Hand orchestrierte menage à quatre, die ihre Erfüllung im Kollektivtod finden soll. Als Schlüsselerlebnis gibt der Fahrer ein "Vorkommnis in [s]einem frühen Mannesalter" an, als er blindwütig auf einen älteren Herrn mit einem Mädchen lossteuerte, und das er "eine Art Travestie, mit einem Wagen, mit einem alten Lyriker und mit einer jungen Frau" bezeichnet, also eine direkte Vorwegnahme dessen, was er im Begriff ist, gerade nochmals aus- und diesmal auch: zu Ende zu führen.

Der Roman endet tödlich, zumindest mit dem "Versprechen": "Es wird keine Überlebenden geben. Keine."


Montag, 19. August 2024

Heinrich Böll: Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1974)

Weshalb erschiesst eine unscheinbare unbescholtene junge Frau kaltblütig einen Journalisten? Heinrich Bölls Antwort ist einfach: Weil sie zuvor schon der Presse zur Verbrecherin gestempelt wurde. Der Mord der Katharina Blum ist wie Bölls Buch eine direkte Abrechnung mit den unlauteren und ehrverletzenden Methoden des Skandaljournalismus, konkret der ZEITUNG, wie sie stets in Grossbuchstaben genannt wird und dabei das Layout der sensationslüsternen Headlines imitiert, wie man sie aus Boulevardzeitungen wie BILD u.ä. kennt. Es ist auch mehr als offensichtlich, dass Böll mit seiner berichthaften Erzählung das Imperium des Medienmoguls Alex Springer anklagt, wenn es im Impressum in ironischer Abwandlung üblicher Fiktionalitäts-Disclaimer heisst: "Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit Praktiken der ‘Bild’-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtig noch zufällig, sondern unvermeidlich." Der arme Axel! Hatte Daniel de Roulet zwei Jahre zuvor sein Chalet in Gstaad abgefackelt, sah er sich nun verbal von einem Nobelpreisträger attackiert und verunglimpft. Springer, darüber nicht erfreut, hatte seine Zeitungsredaktoren nach Erscheinen des Buchs angewiesen, die Bestsellerlisten temporär nicht mehr abzudrucken, weil Böll dort ganz oben figurierte.

Die Geschichte folgt dem Prinzip des analytischen Dramas: Eine gewisse Katharina Blum zeigt sich bei der Polizei wegen des Mordes an einem Journalisten an. Vor kurzer Zeit war sie bereits einmal auf dem Posten, weil sie Kontakt zu einem gesuchten Straftäter  hatte. Die Polizei glaubte an ein von langer Hand geplantes Komplott, doch Katharina kannte ihn vorher nicht, sondern hat sich an nur einem Abend Hals über Kopf in ihn verliebt. Um den Mann ihres Lebens zu schützen, verhilft sie ihm zur Flucht und lässt ihn im Landhaus ihres zudringlichen "Herrenbesuchs" – ein vermögender Freund ihres Chefs und Vermieters macht ihr regelmässig Avancen – untertauchen. Aus all diesen zufälligen Einzelheiten konstruiert die Polizei, vor allem aber die Presse falsche Kausalzusammenhänge, die Katharina Blum in immer schlechterem Licht dastehen lassen. Erst recht da der "Herrenbesuch", ein öffentlich bekannter Industrieller, um seinen guten Ruf fürchtet und seinen Einfluss in den Chefetagen der Redaktion spielen lässt. Die Journalisten schnüffeln in Blums Vergangenheit herum, befragen Bekannte und frühere Kollegen, drehen diesen das Wort im Munde herum, stets natürlich zu Ungunsten der Blum, die schliesslich als gemeingefährliche Terroristenbraut dasteht.

Dann folgt der letzte Twist der Erzählung: Nun denken natürlich alle, Katharina Blum habe sich am Journalisten für seine üblen Verleumdungen rächen wollen und ihn deshalb erschossen. Es wird auch nicht in Abrede gestellt, dass sie mit diesem Gedanken gespielt habe. Jedenfalls nahm sie eine geladene Pistole mit an den vorgetäuschten Interviewtermin, den sie arrangierte, um der Person, die ihr Leben ruinierte, von Angesicht zu Angesicht in die Augen zu sehen. Auslöser für den Schuss war dann aber keine direkte Vergeltungsmassnahme. Der Grund war, weil der Journalist die Interviewsituation ausnutzen und sich an Katharina Blum vergehen (wie es im Original so schön heisst: an ihre "Kledage" gehen) wollte. Es handelte sich, das suggeriert diese finale Episode, offenbar um ein ganz mieses Exemplar der Journaille. Er glaubt, die verzweifelte Lage, in die er Blum durch seine tendenziösen Artikel gebracht habe, auch noch schamlos ausnutzen zu können. Wie man im Laufe des Buches erfährt, ist die zwar gut aussehende, aber etwas prüde Katharina Blum immer mal wieder zum unfreiwilligen Opfer solcher Übergriffe geworden.

Das Ganze ist im nüchternen Protokollstil erzählt, stets durchsetzt mit einer Prise Süffisanz und Sarkasmus, etwa wenn der Begriff "Quelle" (für Informationsquellen wie sie im Journalismus, aber auch bei der Polizeiarbeit zentral sind) beim Wort genommen und daraus das leitende ‘Pfützengleichnis’ vom Zusammenführen verschiedener Rinnsale gebildet wird. Auffällig ist auch, dass der Name des gesuchten Verbrechers Göttens fast die anagrammatische vertauschte Namensform des ermordeten Journalisten Tötgens ist und zugleich ein telling name: Tötgens wird tatsächlich von Blum getötet, während Göttens von ihr vergöttert wird. Dieses Beispiel belegt den stark schematischen Aufbau der Geschichte, die trotz einer höchst unplausiblen Handlung doch oft holzschnitzartig in der Figurenzeichnung und den verwendeten Stereotypen ist – und sich damit von der plakativen Art eines Boulevardblatts kaum unterscheidet, nur dass hier natürlich gegen die Revolverpresse Stimmung gemacht wird. Die Absicht ist dem Text von Anbeginn deutlich eingeschrieben, worunter nicht nur die Differenziertheit leidet, sondern auch die literarische Qualität. Die eingestreute Behauptung, dass "hier nicht ge-, sondern nur berichtet werden soll", ist genau so zweifelhaft wie in vielen Zeitungsberichten. Ein Stück Tendenzliteratur. 

Mittwoch, 7. August 2024

Haruki Murakami: Kafka am Strand (2002)

Kafka ist hoch im Kurs wegen seinem 100. Todestag. Das Lesefrüchtchen nimmt dies zum Anlass, um - nein, nicht Kafka selbst zu lesen, den kennt es schon zu Genüge, sondern um sich auf bislang unbekanntes Terrain zu wagen. Angelockt vom Titel, liest es seinen ersten Murakami: Kafka am Strand. Um den historischen Franz Kafka geht es dabei jedoch nur am Rande, nur einmal wird der Schriftsteller und seine bekanntesten Bücher kurz erwähnt. Mit Kafka ist stattdessen der 15jährige Kafka Tamura gemeint, der an einer Stelle so charakterisiert wird: "Cool wie eine Gurke, geheimnisvoll wie Kafka." Echt jetzt? Er wählte diesen Übernamen, um sich als Ausreisser von zuhause "ein neues Ich" zu schaffen. Dieses neue Ich artikuliert sich als innere Stimme eines Jungen namens Krähe, weil - jahaha! -Kafka auf tschechisch Krähe bedeutet, worauf der Roman auch nicht versäumt hinzuweisen. Kafka-Fans wissen das natürlich längst. Das Familienwappen von Franz Kafka ziert eine rabenschwarze Krähe. 

Dieses Krähen-Über-Ich begleitet den jungen Kafka auf seinem Weg ins Erwachsenwerden, das jedoch rasch phantastische Züge annimmt und ziemlich verworren wird. Kafka schlittert in einer Art Traum- oder Parallelwelt, in der sich die unheilvolle ödipale Prophezeiung seines Vaters zu erfüllen scheint: Er (oder vielmehr stellvertretend für ihn der Katzenflüsterer Nakata) bringt ihn um und begeht Inzest mit seiner Mutter und seiner Schwester - ob real oder nur in seiner Vorstellung ist ebenso unklar wie ob es sich tatsächlich Mutter und Schwester handelt, die er seit dem vierten Lebensjahr nie mehr gesehen hat. Jedenfalls glaubt er in einer Tramperin seine Schwester und seine Mutter in der mysteriösen Bibliothekarin Saeki-San, die früher eine kurze Karriere als Sängerin und einen grossen Erfolg mit dem Lied Kafka am Strand hatte. Nun hängt ein Gemälde mit dem selben Titel in der Bibliothek, das offenbar Seaki-Sans früheren Geliebten zeigt, der um tragische Weise ums Leben kam, weshalb sie schliesslich die Gesangskarriere aufgab.

Der Songtext handelt von einem Moment, bei dem Fische vom Himmel fallen und ein Stein den Eingang in eine andere Welt öffnet, die von Soldaten bewacht wird. Genau das, was die Lyrics prophezeien, ereignet sich dann, wobei das Schicksal von Tamura Kafka auf unerklärliche Weise mit demjenigen von Nakata gekoppelt ist. Bei einem paranormalen Vorfall in der Kindheit wurde Nakata schwachsinnig, glaubt seither aber Katzen sprechen zu hören und verdient seinen Lebensunterhalt damit, herumstreunende Tiere wieder ihren Besitzern zurückzubringen, bis er auf Johnny Walker stösst oder vielmehr auf eine Art Dämon, der sich in Gestalt des Whiskey-Brands manifestiert. Er zwingt Nakata auf perfide Weise - indem er vor seinen Augen reihum die geliebten Katzen abschlachtet - dazu, ihn selbst zu ermorden. Doch wie sich am nächsten Morgen herausstellt, handelt es sich bei der Leiche um den Vater von Kafka, der nach der Mordnacht ebenfalls mit blutverschmiertem Shirt aufwacht. Höhere Mächte kitten fortan beide aneinander, ohne dass sie gegenseitig von ihrer Existenz wissen. Nakata schafft es mit Hilfe eines Truckers, den Eingang zur Parallelwelt zu öffnen und ermöglicht es dadurch Kafka, in sie einzutreten. Während Nakata mit dem Leben dafür bezahlt, kehrt Kafka als gereifter Jüngling vom "Rande der Welt" zurück. Am Ende weiss man nicht, was Realität, was blosse Einbildung und Traum war. Fest steht nur, dass der Junge namens Krähe seinen Adoleszenzprozess abgeschlossen hat.

Kafka am Strand ist Mysterythriller, antike Tragödie (Ödipus-Motiv), Coming-of-Age-Geschichte, Fantasyroman, japanische Gespenstersage und zu zwei Dritteln ein veritabler Pageturner, der all die aufgebaute Spannung am Ende aber nicht auflöst.. Vor allem aber ist der Roman, was man heutzutage Midcult nennt: eine seichte Lektüre, die einen gehobenen Anspruch erwecken will, ohne ihn wirklich einzulösen. Bestes Beispiel dafür ist der Titel, der Kafka zwar zitiert, was für den Roman aber insgesamt keine Rolle spielt. Der Protagonist könnte genauso gut Konrad heissen, das würde keinen Unterschied machen und der Geschichte auch nichts fehlen. Zum Midcult gehört auch das zwar raffiniert, aber letztlich doch bedeutungslos eingestreute Bildungsgut, das mit der Handlung in keinem anderen Bezug steht, als dass eine Figur gerade ein Buch liest oder bestimmte Musik hört, ansonsten aber keinen übergeordneten Symbolwert besitzt, lediglich äusserlich aufgesetzt ist. So referiert ein Café-Besitzer lang und breit über Beethovens Erzherzog-Trio, der geneigten Leserin wird also en passant kanonisiertes Bildungswissen serviert, dabei ist dieses Stück für den Text selbst nicht mehr als nur eine weitere Requisite, ohne die er ebenso bruchlos funktionieren würde.

Damit ist ein zentrales Merkmal von Murakamis Schreibstil angesprochen: Er operiert stark mit Versatzstücken nicht nur inhaltlicher, auch rein sprachlicher Natur. Auffällig etwa dort, wo banale Handlungsabläufe wie Aufstehen, Essen, Waschen, Zu-Bett-Gehen in allen irrelevanten Einzelheiten und repetitiv geschildert werden. Das bringt die Erzählung voran, ohne dass wirklich etwas geschieht, und dient wohl der lesenden Erholung. Man liest, ohne sich übermässig konzentrieren und Informationen aufnehmen zu müssen. Die Leserin kann sich vom Text berieseln lassen wie von einer Telenovela und hat trotzdem das Gefühl, an der gehobenen Literatur teilzuhaben. Damit soll dieses Leseerlebnis nicht geschmälert werden. Schliesslich tut es hin und wieder einfach gut, einen dickleibigen Roman in einem Schnurz durchzulesen. Ärgerlich ist am Ende dann nur, dass man - wie nach einem Besuch in einer Fastfood-Kette - mit einem falschen Gefühl der Sättigung zurückgelassen wird. Alles, was sich als so bedeutungsschwanger ankündigte, verflüchtigt sich als heisse Luft.