Ein Opfer des Holocaust wollte er nie sein. Er sah sich vielmehr als Sieger, weil er nicht nur die Schrecken des KZ überstanden hat, sondern sich davon auch nicht traumatisieren liess. Es erfüllt ihn sichtlich mit Stolz, dass er seinem Schicksal die Stirn geboten und dabei nicht eingenickt ist. In die allgemeine Opferhaltung will er deshalb nicht einstimmen, da er sich als Überlebender nicht als Leidtragender betrachtet. Trotzdem hat er ein Buch über seine Lagererfahrung geschrieben, das sich allerdings radikal von der üblichen Holocaust-Literatur unterscheidet. Das liegt vor allem an der schonungslosen Darstellung und dem Verzicht auf jegliche Form der Klage und Larmoyanz. Laszlo schildert den Gang in die Hölle mit der Unerschrockenheit eines Dante - mit dem einzigen Unterschied, das hier eine reale Hölle beschrieben wird.
Ein Beispiel für den lakonischen Ton, mit dem die Ungeheuerlichkeit in Worte gefasst wird, ist dieser Satz: "Die Mittagssonne strahlte, es gab einen französischen Häftling weniger und eine namenlose Leiche mehr." Das wirkt in seiner unbeteiligten, geradezu emotionslosen Verknappung heftiger als die grellste Ausmalung aller Gräuel. Laszlo verzichtet darauf, das Unbeschreibliche in eine drastische Sprache zu kleiden, auch Pathos ist ihm fremd. Stattdessen neigt er zu Ironie und Sarkasmus, zu harten Schnitten, die deutlich machen sollen, wie - nicht weshalb: die Sinnfrage erweist sich selbst als sinnlos - das Unmenschliche im Alltag stattfinden konnte: "alles war still, man hörte nur das Knistern von Stroh und das schwere Atmen einiger Sterbender. Eine friedliche Stimmung, wie in einem Friedhof, verbreitete sich".
Diese Schnitt-Technik erfährt im Kapitel "Romeo und Julia" ihren Kulminationspunkt. Shakespeare-Zitate werden bruchlos einer Massenvernichtungsszene gegenübergestellt. Das erzählende Ich sitzt mit seinem Buch am Boden des Lagerabortes und registriert, während es liest, wie Mitinsassen in die Gaskammern ge- und die Leichen schliesslich ins Krematorium überführt werden. Der rauchende Schlott des Krematoriums ragt permanent über dem Geschehen, er ragt quasi als Mahnmal auch aus dem Buch heraus. Auch da bleibt die Erzählstimme beim bitteren Sarkasmus. Über den Tod eines "Zigeunermädchens" heisst es: "Sie hat wie Millionen andere kein Grab, winzige Teilchen ihrer Asche atmen wir täglich mit der Luft ein."
Wie schon erwähnt: Laszlo meidet die Sinnfrage, weil sie seiner Ansicht nach falsch gestellt ist: "Es kann ja nicht alles sinnlos und umsonst sein, etwas muss es ja bedeuten können, was wir hier erleben, irgendeinen Sinn wird dieser grosse Untergang in sich bergen", reflektiert das erzählende Ich einmal, doch sein Alter Ego mit dem sprechenden Namen Alieno erwidert resigniert (oder eher abgeklärt?): "Wie schön wäre es, wenn es einen Sinn gäbe." Für Laszlo ist deshalb auch klar, dass kein Buch - und sei es noch so authentisch und präzise - die ganze Wahrheit über den Holocaust darstellen könnte, dazu entziehen sich die Vorgänge in den KZ zu sehr jeglicher Vorstellungskraft. Das objektiv "richtige" Buch, das darüber geschrieben werden könnte, wäre eben so sinnlos wie die erlebte Realität. Sein einziger Inhalt: "Leichen, Leichen, Leichen, Leichen ..."
Wie erklärt sich aber der Titel: Ferien am Waldsee? Man könnte das vorschnell für einen Zynismus des Autors halten, tatsächlich ist es ein, allerdings ganz anders gearteter, Zynismus der Nazis, wie Laszlo gleich einleitend erklärt: Angehörige erhielten gelegentlich vorgedruckte Postkarten mit einer knappen nichtssagenden Botschaft und eigenhändiger Unterschrift von deportierten Familienmitgliedern; als Aufenthaltsort wies der Stempel nicht das KZ aus, sondern - als perfides Täuschungsmanöver - den fingierten Ort: "am Waldsee".
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