Weshalb erschiesst eine unscheinbare unbescholtene junge Frau kaltblütig einen Journalisten? Heinrich Bölls Antwort ist einfach: Weil sie zuvor schon der Presse zur Verbrecherin gestempelt wurde. Der Mord der Katharina Blum ist wie Bölls Buch eine direkte Abrechnung mit den unlauteren und ehrverletzenden Methoden des Skandaljournalismus, konkret der ZEITUNG, wie sie stets in Grossbuchstaben genannt wird und dabei das Layout der sensationslüsternen Headlines imitiert, wie man sie aus Boulevardzeitungen wie BILD u.ä. kennt. Es ist auch mehr als offensichtlich, dass Böll mit seiner berichthaften Erzählung das Imperium des Medienmoguls Alex Springer anklagt, wenn es im Impressum in ironischer Abwandlung üblicher Fiktionalitäts-Disclaimer heisst: "Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit Praktiken der ‘Bild’-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtig noch zufällig, sondern unvermeidlich." Der arme Axel! Hatte Daniel de Roulet zwei Jahre zuvor sein Chalet in Gstaad abgefackelt, sah er sich nun verbal von einem Nobelpreisträger attackiert und verunglimpft. Springer, darüber nicht erfreut, hatte seine Zeitungsredaktoren nach Erscheinen des Buchs angewiesen, die Bestsellerlisten temporär nicht mehr abzudrucken, weil Böll dort ganz oben figurierte.
Die Geschichte folgt dem Prinzip des analytischen Dramas: Eine
gewisse Katharina Blum zeigt sich bei der Polizei wegen des Mordes an einem Journalisten an. Vor kurzer Zeit war sie bereits einmal auf dem Posten,
weil sie Kontakt zu einem gesuchten Straftäter hatte. Die Polizei glaubte an
ein von langer Hand geplantes Komplott, doch Katharina kannte ihn vorher nicht, sondern hat sich an nur einem Abend Hals über Kopf in ihn verliebt. Um den Mann
ihres Lebens zu schützen, verhilft sie ihm zur Flucht und lässt ihn im Landhaus ihres
zudringlichen "Herrenbesuchs" – ein vermögender Freund ihres Chefs und
Vermieters macht ihr regelmässig Avancen – untertauchen. Aus all diesen
zufälligen Einzelheiten konstruiert die Polizei, vor allem aber die Presse
falsche Kausalzusammenhänge, die Katharina Blum in immer schlechterem Licht
dastehen lassen. Erst recht da der "Herrenbesuch", ein öffentlich bekannter Industrieller, um seinen guten Ruf fürchtet und seinen Einfluss in den Chefetagen der Redaktion spielen lässt. Die Journalisten schnüffeln in Blums Vergangenheit herum, befragen
Bekannte und frühere Kollegen, drehen diesen das Wort im Munde herum,
stets natürlich zu Ungunsten der Blum, die schliesslich als gemeingefährliche Terroristenbraut
dasteht.
Dann folgt der letzte Twist der Erzählung: Nun denken natürlich alle, Katharina Blum habe sich am Journalisten für seine üblen Verleumdungen rächen wollen und ihn deshalb erschossen. Es wird auch nicht in Abrede gestellt, dass sie mit diesem Gedanken gespielt habe. Jedenfalls nahm sie eine geladene Pistole mit an den vorgetäuschten Interviewtermin, den sie arrangierte, um der Person, die ihr Leben ruinierte, von Angesicht zu Angesicht in die Augen zu sehen. Auslöser für den Schuss war dann aber keine direkte Vergeltungsmassnahme. Der Grund war, weil der Journalist die Interviewsituation ausnutzen und sich an Katharina Blum vergehen (wie es im Original so schön heisst: an ihre "Kledage" gehen) wollte. Es handelte sich, das suggeriert diese finale Episode, offenbar um ein ganz mieses Exemplar der Journaille. Er glaubt, die verzweifelte Lage, in die er Blum durch seine tendenziösen Artikel gebracht habe, auch noch schamlos ausnutzen zu können. Wie man im Laufe des Buches erfährt, ist die zwar gut aussehende, aber etwas prüde Katharina Blum immer mal wieder zum unfreiwilligen Opfer solcher Übergriffe geworden.
Das Ganze ist im nüchternen Protokollstil erzählt, stets durchsetzt mit einer Prise Süffisanz und Sarkasmus, etwa wenn der Begriff "Quelle" (für Informationsquellen wie sie im Journalismus, aber auch bei der Polizeiarbeit zentral sind) beim Wort genommen und daraus das leitende ‘Pfützengleichnis’ vom Zusammenführen verschiedener Rinnsale gebildet wird. Auffällig ist auch, dass der Name des gesuchten Verbrechers Göttens fast die anagrammatische vertauschte Namensform des ermordeten Journalisten Tötgens ist und zugleich ein telling name: Tötgens wird tatsächlich von Blum getötet, während Göttens von ihr vergöttert wird. Dieses Beispiel belegt den stark schematischen Aufbau der Geschichte, die trotz einer höchst unplausiblen Handlung doch oft holzschnitzartig in der Figurenzeichnung und den verwendeten Stereotypen ist – und sich damit von der plakativen Art eines Boulevardblatts kaum unterscheidet, nur dass hier natürlich gegen die Revolverpresse Stimmung gemacht wird. Die Absicht ist dem Text von Anbeginn deutlich eingeschrieben, worunter nicht nur die Differenziertheit leidet, sondern auch die literarische Qualität. Die eingestreute Behauptung, dass "hier nicht ge-, sondern nur berichtet werden soll", ist genau so zweifelhaft wie in vielen Zeitungsberichten. Ein Stück Tendenzliteratur.
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