1996 erscheint in der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit Pamela Anderson, das sich deutlich von der Belanglosigkeit gewöhnlicher Star-Gespräche abhebt. Pamela zeigt viel Esprit, spricht ebenso aus dem Nähkästchen und gibt Vertraulichkeiten preis wie sie sich auch zu luziden Selbstanalysen aufschwingt und auch um pointierte Statements nicht verlegen ist. Das Feuilleton ist begeistert. Endlich hat es einer geschafft, das Star-Interview auf eine neues Niveau zu heben und den Promis mehr als nur ein paar Floskeln und Plattitüden zu entlocken. Tom Kummer heisst der Mann der Stunde, der sein Erfolgsrezept bei der Crème-de-la-crème des Showbusiness fortsetzt: Sharon Stone, Bruce Willis, Phil Collins und vielen mehr verhilft dieser Kummer zu den erstaunlichsten Aussagen und Reflexionen ...
... bis vier Jahre später die Blase platzt und Kummer vorgeworfen wird, seine Interviews seien alle nur erstunken und erlogen. Es folgen verschiedene Berichte und Stellungnahmen, die schliesslich dazu führen, dass Kummer seinen Job los wird und auch die Chefredakteure bei der Süddeutschen Zeitung ihre Posten räumen müssen. Eigentlich merkwürdig: Obwohl das Unwahrscheinliche dieser Interviews allen in die Augen stach, hinterfragte man sie nicht, sondern brach in kollektive Begeisterung aus. Der Glaube an die schiere Möglichkeit war stärker als jede kritische Reflexion. Die Grenze zwischen Betrug und Selbstbetrug verläuft hier fliessend. Der ehemalige Tennisprofi Kummer hat mit seinen Fälschungen das System des People-Journalismus selbst an die Wand gespielt. Von den einen deswegen als Genie gefeiert, gilt er in der schreibenden Zunft der Journalisten seither freilich als Verräter.
Kummer selbst hat seine Sichtweise auf diese Episode in dem autobiographischen Bericht Blow up aufgearbeitet. Es ist weniger eine Rechtfertigung als eine Rekonstruktion der Ereignisse, die Kummer zunächst verdrängte. Das Motiv des Vergessens durchzieht den Text von Anbeginn, wo Kummer mittlerweile als Tenniscoach Tomàs in einem Privatclub der High Society untergetaucht - und damit just in einem Milieu angekommen ist, das er in seinen Fake-Interviews nur prätentierte. Im Jonathan Club bei Pacific Palisades verkehren echte Hollywoodgrössen wie Johnny Depp, Scarlett Johanson oder Gwyneth Paltrow. Inmitten dieser Prominenz beschleichen Kummer Gewissenbisse und er beginnt sich der Vergangenheit zu stellen. Mithilfe von Tonband-Aufnahmen, u.a. mit Tapes seines alten Telefonbeantworters, will er seine verschüttete Erinnerung wieder schichtweise freilegen.
Das Buch bietet somit einen interessanten Abriss des frühen Lebenslaufs des Autors und seiner journalistischen Karriere, von den Anfängen bei der Szene-Zeitschrift Tempo bis hin zu seinem Aufstieg als Hollywood-Reporter für die Süddeutsche, stets mit viel name-droping garniert, was wohl unterstreichen soll, dass Kummer dick im Geschäft war, obwohl er sich selbst stets als Randfigur und Aussenseiter wahrnahm, der eher nolens als volens in den Journalismus rutschte und deshalb stets einen scheelen Blick auf diesen wirft. Hier liegt ein interessanter Aspekt des Buchs, da Kummer eine Argumentationsfigur aufbaut, um sich weniger für seine Fake-Interviews zu entschuldigen, sondern ihre Systemnotwendigkeit quasi zu begründen. Da die ganze Presselandschaft nichts anderes als eine Scheinwirklichkeit konstituiert, ist es eigentlich ehrlicher oder zumindest konsequenter, wenn man sich gar nicht mehr an die Wirklichkeit hält.
Dabei verläuft sein Argument in zwei Richtungen: Zum einen verweist Kummer en passant immer wieder auf die Künstlichkeit nicht nur der Gesellschaft, sondern auch des Redaktionshabitus, und spricht den Zeitungen ihren Wahrheitsanspruch ab. Das sei alles nur Augenwischerei oder wie es mit Rekurrenz auf Jean-François Lyotard an einer Stelle heisst: "die Realität als Show". Es fallen Sätze wie: "Wie so oft im Journalismus waren die gesprochenen Worte und die gedruckten Texte zweierlei." Oder: "Jede journalistische Strategie, die darauf abzielt, Authentizität und Objektivität glaubwürdig zu simulieren, ist im Grunde faszinierend und einen Versuch wert. Nur hat es mit der Wahrheit nichts zu tun." Näher an die Wahrheit gelangt man hingegen, so suggeriert es Kummer zwischen den Zeilen, wenn man sie wie er erfindet.
Der zweite Teil von Kummers Argumentationsstruktur streicht deshalb seine schon früh entwickelte Freude am Erfinden von Geschichten hervor. Sich die Realität, die in Kummers Augen ohnehin nicht authentisch zu vermitteln ist, wenigstens zu erschreiben. Bereits während seiner schliesslich gescheiterten Tenniskarriere gelangte er zur Erkenntnis: "Die Wirklichkeit ist enttäuschend. Stattdessen amüsiere dich über den Wirbel, den Du verursachst." Bei seinen ersten Reportagen gewann er ebenso rasch die Gewissheit, "dass man nicht alles mit eigenen Augen erleben musste, um über die sogenannte Wirklichkeit zu schreiben". Was schliesslich dazu führte, wie Kummer schreibt, "dass ich einen Pop- oder Hollywoodstar für eine semifiktive Figur halte - und als solche müsste sie es sich eigentlich gefallen lassen, wenn die Rezeption die Fiktion weiterspinnt". Die Stossrichtung all dieser Statements ist klar: In einer Welt, wo Ansehen und Schein alles zählen, kommt dem Fake letztlich mehr Wahrheitsgehalt zu.
Die Frage bleibt nach der Lektüre, welchen Status nun Kummers Memoiren haben. Fällt da der Vorwurf des Fake auch auf sie zurück? Ein Autor, der so offen zugibt, dass er es mit der Wahrheit nicht allzu genau nimmt, der sich gerne alternative Wirklichkeiten ausdenkt, ist zwangsläufig ein unzuverlässiger Erzähler. ("Tom Kummer, schon der Name klingt erfunden.") Und das obwohl er eine absolut glaubwürdig klingende Prosa schreibt: offen, direkt, persönlich, ehrlich, unverstellt. Kummer versteht es exzellent diese stilistischen Register zu ziehen, damit seine Memoiren authentisch klingen. Ob sie es auch tatsächlich sind, ist - gemessen an den Maximen des Autors - vielleicht gar nicht die entscheidende Frage.
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