Alfred Jarrys Skandalstück, das als Pennälerscherz begann, dann die Pariser Schickeria empörte, schliesslich Kultstatus erreichte und heute als protosurrealistisches Meisterwerk und Wegbereiter des absurden Theaters gilt, ist wie kein anderes Stück vor und nach ihm über sich selbst hinausgewachsen. In Frankreich ging das Adjektiv "ubuesque" in den allgemeinen Wortschatz ein wie im deutschsprachigen Raum der Ausdruck "kafkaesk" - und meint ungefähr das gleiche: eine abstruse oder groteske Situation. Während das Kafkaeske mehr die Unheimlichkeit betont, liegt der Akzent des Ubuesken auf der Grausamkeit. Denn dieser Père Ubu, der skrupellos und ziemlich blutig den Thron des polnischen Königs an sich reisst, ist tatsächlich nichts anderes als ein fressender, saufender und fluchender Wüstling, der gleich aus allem und jedem "Hackfleisch" (50) machen will, wenn ihm etwas nicht passt. Und zugleich eine grotesk-komische Figur. Ein König mit einer Klobürste als Zepter.
"Merdre!" - zu Deutsch etwa: Schreiße, Scheitze oder Schoiße - mit diesem nur leicht verfremdeten und damit bühnentauglich zurechtfrisierten Kraftausdruck beginnt das Stück und wird in dessen Verlauf noch unzählige Male vorgebracht. Trotz der Verfremdung zur Kenntlichkeit tobte das Publikum bei der Uraufführung am 10. Dezember 1896, unmittelbar nachdem Firmin Gémier in der Rolle des Ubu das unerhörte Mot de Cambronne ausgesprochen hatte. Es entstand ein wilder Tumult mitsamt Schlägerei, einige Zuschauer verliessen sogar den Saal des Théatre de Paris. Nur mit Mühe konnte die Aufführung fortgesetzt werden. Jedes Mal, wenn Ubu oder sein linkisches Weibstück sich verbal vergriffen, ging die Unruhe im Publikum von Neuem los. - Dem Lesefrüchtchen sei die nun folgende rhapsodische Nacherzählung
verziehen, aber anders ist der absurden Handlung nicht beizukommen, die keiner
logischen Entwicklung folgt, sondern von der unberechenbaren Impulsivität der Hauptfigur
vorangetrieben wird.
1. Akt, 1. Szene beginnt mit dem mittlerweile ikonischen
Ausruf Vater Ubus: "Schreiße!" Er bildet den Auftakt zu einem Dialog
mit Mutter Ubu, die ihren Gemahl zu einem Putsch drängt, Er soll König Wenzel
gewaltsam vom polnischen Thron zu stossen, um selbst wieder Regent und reich zu
sein, wie früher als er König von Aragon war. Vorerst gibt sich Ubu mit seiner
Stellung als Dragonerhauptmann zufrieden, doch sein Eheweib bohrt weiter. Die
Aussicht, sich als König mit Kapuze, Schirm und Regenmantel auszustatten,
scheint ihn jedoch umzustimmen. 2. Szene: Mutter Ubu bereitet ein grosses
Fressgelage vor, doch Vater Ubu tut sich bereits am Hähnchen und am Kalbsraten
gütlich, bevor die Gäste überhaupt auftauchen. 3. Szene: Nun erscheinen die
Gäste, Hauptmann Bordure und seine Kumpane. Die Schlemmerei beginnt, während
der Ubu eine "unaussprechliche Bürste" (35) auf die Festtafel wirft.
Als einige der Kumpane davon probieren, fallen sie vergiftet um. Das gibt Ubu
die Gelegnheit, den Hauptmann beiseite zu ziehen. In der 4. Szene offenbart Ubu
sein Vorhaben, den König zu töten, als kurz darauf in der 5. Szene ein Bote
auftaucht und Ubu zum König befiehlt. 6. Szene im Palast des Königs. Ubu glaubt
zunächst, Wenzel wittere schon Verdacht und will die Schuld auf seine Frau
schieben. Doch der König will Ubu für seine Dienste belohnen und kündigt eine
grosse Parade für den morgigen Tag an. Aus Dankbarkeit schenkt ihm Ubu eine
Trillerpeife, womit dieser nichts anfangen kann. Beim Weggang fällt Ubu um und
bricht sich den "Darm" und fürchtet schon zu "krepieren"
(38). Nachdem der König ihm versichert, künftig für seine Frau zu sorgen,
bedankt sich Ubu zwar, sagt jedoch leise vor sich hin: "aber deswegen
wirst du doch massakriert" (38). Wieder zuhause plant Ubu in der 7. Szene
die Verschwörung. Man diskutiert verschiedene Szenarien: Vergiftung,
Schwerthieb, einigt sich dann aber auf einen Hinterhalt während der Parade: Ubu
soll dem König auf den Fuss treten und als Zeichen zum Angriff
"Schreiße" rufen.
2. Akt, 1. Szene: König Wezel verbietet seinem Sohn
Bougrelas an der Parade teilzunehmen, weil er sich unverschämt gegenüber Ubu
verhalten habe. Die Königin ist jedoch verunsichert, weil sie ihren Mann zu
wenig geschützt glaubt, da sie in der vergangen Nacht von einem Attentat
träumte. Wezel hält das für Unsinn und geht mit seinen beiden anderen Söhnen
ab. Die 2. Szene spielt auf dem Paradeplatz, wo das Attentat wie vorbesprochen
durchgeführt wird. Die Söhne des Königs fliehen. In der 3. Szene beobachten die
Königin und Bougrelas den Vorgang und sehen, wie einer der Söhne von einer
Kugel getroffen wird. Der wütende Mob nähert sich ihnen. Bougrelas schwört
Rache. Doch in der 4. Szene verschafft sich Ubu mit seinem Gefolge gewaltsam
zugang zum Palast. Bougrelas wehrt sich tapfer und flieht schliesslich mit
seiner Mutter, der Königin in die Berge, wo sie sich in der 5. Szene befinden.
Sie beklagen ihr Leid und verwünschen den hinterhältigen Ubu. Die Königin
erleidet einen Schwächeanfall und stirbt. Da treten die Seelen der ermordeten
Königsfamilie auf und übergeben Bougrelas ein grosses Schwert, um Rache zu
üben. Ubu hat in der 6. Szene mittlerweile den Thron erklommen und denkt an
nichts anderes, als Steuern einzuziehen, um reich zu werden. Der Hauptmann
Bordure gibt zu bedenken, dass man sich zuerst mit dem Volk gutstellen muss,
bevor man Steuern einzieht, was Ubu dazu motiviert, drei Millionen zu
verteilen. Das Volk zeigt sich in der 7. Szene begeistert über den unverhofften
Geldsegen und jubelt Vater und Mutter Ubu zu. Zu seiner Belustigung
veranstaltet Ubu weitere Geldspiele und wird als "edelster aller
Herrscher" (48) akklamiert.
Die 3. Szene setzt wieder mit einem Gespräch zwischen Vater
und Mutter Ubu ein. Sie rät ihm zur Vorsicht, weil sie die Rache von Bougrelas
befürchtet, doch Ubu schlägt ihre Bedenken in den Wind und sinnt vielmehr
darauf, sich auch seines Hauptmanns Bordure zu entledigen. In der 2. Szene
offenbart sich nun Ubus unbarmherzige Seite: Er will den gesamten Adel
vernichten, um sich an seinen Gütern zu bereichern. Jeder einzelne muss
vortreten, sein Vermögen benennen, um dann mit einem Fleischerhaken in ein Kerkerloch
befördert zu werden. Auch den Richtern, die gegen diese Willkür protestieren,
ergeht es nicht anders. Und selbst die Finanzier, die Ubus Tat als
"idiotisch" und "absurd" (53) kritisieren, müssen daran
glauben. Mutter Ubu ist entsetzt: "Du massakrierst alle deine
Untertanen." Worauf Ubu schlicht quittiert: "Ja Schreiße." (53)
3. Szenewechsel: Unter der Bevölkerung hat sich der Regierungssturz und die
Tyrannei von Ubu längst herumgesprochen. Die Bauern unterhalten sich besorgt,
als es an die Türe klopft. Es ist König Ubu, der höchst eigenhändig die
Steuern einziehen will. Und zwar unerbärmlich, wie sich in der 4. Szene zeigt:
Er schröpft die Bauern, obwohl sie nichts mehr haben. Sie setzen sich zur Wehr,
doch unterliegen sie im Kampf Ubus neuen Finanzenherren, die das Bauernhaus
gleich niederbrennen. Auch Bordure ergeht es nicht anders, der in der 5. Szene
in Ketten liegt. Er kann jedoch fliehen und gelangt in Szene 6 zum Zar Alexis
von Moskau, den er dazu bewegen kann, gegen Ubu vorzugehen und Wenzels Sohn
Bougrelas auf den Thron zu verhelfen. Unterdessen beschäftigt sich Ubu in der
7. Szene weiterhin obessiv mit den "Pfuinanzen" (58). Er sinnt, wie
er noch mehr Geld eintreiben kann. Da erreicht ihn der Brief des Zaren und
kündigt seinen Angriff an. In der 8. Szene ist Warschau bereits belagert und
Ubu rüstet sich zum Kampf, doch sein Pferd, dem er aus Habgier kaum zu fressen
gab, verweigert den Dienst. Als ersatzweise ein "riesiges Pferd" (59)
gebracht wird, läuft es davon und Ubu plumpst auf den Boden. Schliesslich
schafft er es dennoch mit seinem Heer loszuziehen, derweil Mutter Ubu ihren "Einfaltspinsel"
und "Hampelmann" (60) laufen lässt und den Schatz der polnischen
Könige aufsuchen will
4. Akt, 1. Szene: Mutter Ubu sucht in der Warschauer Krypta
nach dem polnischen Schatz. Sie findet das Gold, doch eine Stimme aus dem
Grabmal von Hans Sigismund vertreibt sie rasch. Unterdessen haben sich in der
2. Szene Bougrelas mit seinen Partisanen auf dem Warschauer Platz versammelt
und stimmen ein Loblied auf König Wenzel und Polen an. Sie stürmen den Pallast,
Mutter Ubu muss erneut flüchten. In der Zwischenzeit irrt Ubu in der 3. Szene mit
der polnischen Armee den Russen entgegen. Der Angriff folgt in Szene 4. Es
kommt zu mehreren Kampfszenen, in denen Ubu verwundet wird, seine Gegner aber
sofort "zerreisst" (darunter auch Bordure). Im Getümmel fällt der
russische Zar in einen Graben, worauf Ubu eine lange Spottrede hält. Währenddem
wird der Zar aus dem Graben befreit und sogleich wendet sich das Blatt wieder:
die Russen schlagen die Polen in die Flucht. Ubu verschwanzt sich in einer
Höhle in Litauen (5. Szene), wo er von einem Bär heimgesucht wird (6. Szene)
und aus Feigheit um einen Felsen flieht, während einer von Ubus Schergen den
Bär bekämpfen muss, der schliesslich in einer Explosion umkommt. Ubu kriecht
wieder aus seiner Deckung hervor und hält grosssprecherische Reden. Auf seinen
Befehl wird der Bär zerlegt und soll gebraten werden. Als Ubu unversehens in
Schlaf fällt, machen sich seine Gesellen aus dem Staub und lassen ihn allein.
In der 7. Szene redet Ubu im Schlaf: Er sieht sich von all seinen Feinden
bedrängt, die sich im Bären sich zu einem grossen Angstgegner manifestieren. Schliesslich
deliriert er in seinem speziellen Idiom neue Gewaltphantasien: "Zerpresst
die Hirne, mordert, schneidet die Ohnen ab, reisst die Finanzen aus und sauft
euch zu tode, das ist das Leben der Schlumpenkerle, das ist das Glück des
Finanzministers." (75)
5. und letzter Akt. In der 1. Szene gelangt auch Mutter Ubu,
nach einer langen Flucht, die sie in einem Monolog rekapituliert, in die Höhle,
wo sie ihren Mann schlafend vorfindet und feststellt, dass er ziemlich wirres Zeug
daherredet. Aus dieser Situation will die Heimtückische ihren Vorteil ziehen und
spielt Ubu die übernatürliche Erscheinung des Erzengels Gabriel vor. Es folgt
ein komischer Dialog, in dem der Erzengel die Vorzüge von Mutter Ubu preist, Ubu selbst sie aber vielmehr als "Ekel", "Giftkröte"
und "Aasgeier" beschimpft (78). In der Rolle des Engels hält Mutter
Ubu ihrem Mann all seine Sünden und Verfehlung vor, doch Ubu durchschaut sie
schliesslich. Es kommt zu einem Gezänk, Ubu wirft den toten Bären nach ihr. Er
steigert sich in eine ungeheure Gewaltphantasie hinein und will darauf seine
Frau zerreissen. In diesem Moment (2. Szene) stürzt Bougrelas in die Höhle. Eine
Schlägerei beginnt, begleitet von wüsten Beschimpfungen. Doch Ubu bekommt Verstärkung
von seinen Kumpanen und kann sich befreien. Die 3. Szene zeigt ihn und Mutter
Ubu in der schneebedeckten Provinz Livland. Es wird klar, das Bougrelas an die
Macht gekommen ist, weshalb Ubu und seine Frau in der 4. Szene auf dem
Baltischen Meer Richtung Frankreich davonsegeln, in der Hoffnung dort wieder an
ihren früheren Ruhm anknüpfen zu können. Sie geraten in nationale Schwelgereien
und das Stück endet mit dem nur scheinbar tautologischen Satz: «Wenn es Polen
nicht gäbe, gäbe es keine Polen!» (85) In ihm offenbart sich die ultranationalistische
Denkweise Ubus: Nicht das Volk macht das Land, sondern das Land das Volk.
Jarry liefert mit seinem Stück eine noch heute gültige, schonungslose Analyse von Statusgier und Machtmissbrauch. König Ubu ist quasi die Quintessenz aller Despoten. Sein sophistisch-paradoxaler Wahlspruch lautet: "Ist das schlechte Recht nicht ebenso gut wie das gute?" (50) Heute kommt man kaum umhin, in ihm eine Präfiguration und Karikatur Donald Trumps zu erblicken. Wie Ubu ist Trump eine masslose, grobianische Witzfigur und zugleich ein übler Volkstribun und Demagoge. Auch der grosssprecherische, selbstverliebte Zug scheint bei Jarrys Figur bereits vorgezeichnet. Schon früh erkannte dies Georg Seeßlen, der bereits 2017 in seiner, kurz nach Trumps erster Präsidentschaftswahl erschienenen Studie bilanziert: "Er ist nicht gerecht, sondern selbstgerecht. Er ist König Ubu." Oder eben: Trump ist zutiefst "ubuesque". Doch Despoten gibt es nicht nur in der Regierung, sondern überall wo wichtige Posten zu bekleiden sind. Als reales Vorbild für Ubu diente Alfred Jarrys ehemaliger Physiklehrer, ein gewisser Herr Hébert, von dem heute nichts weiter mehr bekannt ist, als dass er ein gehässiger und boshafter Lehrbeamter war, der von seinen Eleven über Generationen hinweg aufgrund seiner lächerlichen Standpauken verspottet wurde. Dass er schliesslich als kegelförmige und holzschnittartige Gestalt auf der Pariser Bühne enden sollte, erlebte er vermutlich nicht mehr. Aus dem Hébert (sprich "Ebée") wurde Ubu.
Alfred Jarry: König Ubu. Stücke und Materialien, übers. von Manfred Nöbel. Leipzig: Reclam 1978.