Michael Kohlhaas ist neben der Marquise von O. wahrscheinlich die bekannteste Novelle Heinrich von Kleists, was aufgrund der umständlichen Erläuterung mitunter komplexer juristischer und politischer Sachverhalte eigentlich erstaunen muss. Doch ist seit Erscheinen des Textes die historisch verbürgte Gestalt des Kohlhaas’ zum Inbegriff für den blindwütigen Gerechtigkeitswahn geworden. Michael Douglas im Film Falling Down ist bloss ein harmloser Abklatsch davon.
Weil ein widerfahrenes Unrecht auf intrigante Weise vor Gericht abgewiesen wird, verlässt Kohlhaas den offiziellen Rechtsweg, greift zur Selbstjustiz und zieht brandschatzend als apokalyptischer Reiter – er wird mal als "Engel des Gerichts", mal als "Würgeengel" apostrophiert – durch ganz Sachsen, ohne Rücksicht auf Verluste: selbst seine Frau Lisbeth stirbt an den Folgen des Rachefeldzugs, der in keinem Verhältnis mehr zur Bagatelle (ihm wurden zwei Rappen geschunden) steht, die Kohlhaas’ Rechtsempfinden empfindlich verletzt hat.
In einer atemlosen Erzählweise mit dem für Kleist typischen hypotaktischen Satzbau und einer weitgehend metaphernlosen Sprache wird das Schicksal von Kohlhaas geschildert, wobei die Novelle ungefähr in der Hälfte eine phantastische Wende nimmt und die anfänglich eingeschlagene realistische Ebene verlässt, was auch vom Erzähler eigens reflektiert wird, indem er anmerkt, "die Wahrscheinlichkeit" liege "nicht immer auf Seiten der Wahrheit", und es also dem Leser überlässt, an die Geschichte zu glauben oder daran zu zweifeln.
Der weitere Verlauf mutet in der Tat sehr unwahrscheinlich an. Kohlhaas’ Rechtshändel spielen kaum noch eine Rolle, vielmehr ein geheimnisvolles Amulett, das er in Jüterbock von einer Zigeunerin auf dem Jahrmarkt erhalten hat, die sich am Schluss sogar als Wiedergängerin seiner verstorbenen Frau Lisbeth ausgibt. Sie verschafft ihm trotz Todesurteil die Möglichkeit der Rache, denn im Amulett steckt eine Prophezeiung, die der Kurfürst von Sachsen unbedingt kennen will. Doch Kohlhaas, schon auf dem Schafott, verschluckt den Zettel mit der Prophezeiung vor den Augen des entsetzten Kurfürsten, der sein Leben nun weiter im Ungewissen fristen muss.
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