Samstag, 22. Februar 2025

Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung (2012)

Wolf Haas, bekannt für seine mit Sprachwitz gespickten Brenner-Krimis, legte mit mit die Verteidigung der Missionarsstellung einen Roman ausserhalb seiner Krimi-Serie vor, der alle Register des postmodernen Erzählens zieht, ohne dabei anstrengend zu wirken. Im Grunde ist es schon eher eine Parodie auf postmoderne Erzählverfahren, die hier mit grossem Augenzwinkern zur Schau gestellt werden. Es handelt sich - ganz in der Tradition von Laurence Sterne und seinem Tristram Shandy - um einen Antiroman, der sich dem linearen Fortgang verweigert, den Erzählfluss ständig sabotiert und die Geschichte lediglich entwickelt, um sie wie eine Seifenblase platzen zu lassen. Das beginnt schon damit, dass wir keinen fertigen Roman lesen, sondern gewissermassen einzelne Entwurfsfragmente, deren Lücken erst noch ausgearbeitet werden müssen. Immer mal wieder vermerkt der Autor in Klammern, was bei einer Überarbeitung noch zu ergänzen wäre. Quasi konträr zu dieser Ästhetik des Unfertigen ist der Roman bereits mit diversen typographischen Spielereien ausgestattet, auch da bleibt der Tristram Shandy Vorbild. Mal muss man um die Ecke lesen, dann Querlesen oder ein Textblock bewegt sich wie ein Lift vom oberen Seitenrand nach unten. Auch das besitzt eher ironischen Charakter und fungiert als Parodie auf ähnliche, jedoch symbolisch überladene Verfahren wie etwa in Extrem laut und unglaublich nah (2005) von Jonathan Safran Foer.

Verteidigung der Missionarsstellung ist deshalb nicht nur ein Anti-, sondern auch ein - in der Tradition von Italo Calvinos Wenn ein Reisender in einer Winternacht (1979) stehender - Metaroman, da er permanent auch über das eigene Verfahren reflektiert und sich auf sich selbst bezieht, bis hin zur Absurdität, wenn dem Autor am Ende des noch unfertigen Romans eine Reiterin begegnet, die das Buch bereits aufmerksam gelesen hat. Auf diese Form der Selbstreferentialität verweist bereits das Cover des Buchs, wo der Autor sein Buch in die Kamera hält. Das Buch erscheint also im Buch und das könnte in einem infiniten Regress so weitergehen. Tatsächlich inszeniert Wolf Haas ungefähr in der Mitte der Geschichte eine solche Mise en abyme, als die lediglich als "die Baum" apostrophierte Figur beginnt, den gesamten Text zu lesen, den wir bereits gelesen haben, wobei der Autor bemerkt: "Ich fragte mich, wie sie es geschafft hatte, aus der Schleife auszusteigen. Sie hätte doch am Ende des Buches wieder an die Stelle kommen müssen, wo ich schlafen gehe und die Baum in meinem Arbeitszimmer sitzt und zu lesen beginnt. Dann hätte die Geschichte ein drittes Mal von vorn beginnen müssen, und wieder wäre sie am Ende zu der Stelle gekommen, wo die Baum in meine Arbeitszimmer geht und zu lesen beginnt, und die Geschichte hätte ein viertes Mal angefangen ..."

Nicht nur praktisch, auch theoretisch ist Wolf Haas mit allen Wassern postmoderner Konzepte gewaschen. Nicht von ungefähr heisst der Protagonist seines Metaromans Benjamin Lee Baumgartner in Anlehnung an den Linguisten Benjamin Lee Whorf, dessen sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese von der sprachlichen Abhängigkeit der Weltsicht die postmoderne Theoriebildung von der Unhintergehbarkeit sprachlicher Strukturen massgeblich mitbestimmte. Haas weiss das alles, drückt es uns aber nicht demonstrativ aufs Auge, sondern spielt mit diesen Theoriemodellen, zu denen auch das Lügnerparadox oder Tarskis Forderung einer strikten Trennung zwischen Objekt- und Metasprache gehören, ein vergnüglich leichtes Spiel. Denn eingebettet sind alle diese Versatzstücke in die amüsante Liebesgeschichte besagten Benjamin Baumgartner, der - obwohl sein Vater entgegen der Behauptung seiner Mutter gar kein Indianer war - dem Chief Bromden aus Einer folg über das Kuckucksnest verblüffend ähnlich sieht - sich immer dann in eine Frau verliebt, als gerade eine Seuche ausbricht (BSE in London, Vogelgrippe in Peking, Schweingrippe in Santa Fee), was ihn zur fixen Idee verleitet, seine Verliebtheit löse jeweils eine solche Epidemie aus. Das ist im Prinzip schon die ganze Geschichte, die vor allem von Wolf Haas' unvergleichlich witzigen Dialogen und Sprachspielen lebt - und hier zusätzlich von einem ausgeklügelten Antinarrativ.

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