Oswald Wiener geht trotz (oder gerade wegen) seiner Vielseitigkeit als Ein-Buch-Autor durch. Nachdem sein literarischer Hauptwerk die verbesserung von mitteleuropa zuerst periodisch in der Grazer Zeitschrift manuskripte, dann 1969 in Buchform erschienen ist, trat er vornehmlich als Theoretiker und Essayist in Erscheinung. Seine Beteiligung am skandalträchtigen Auftritt Kunst und Revolution der Wiener Aktionisten, die als "Uni-Ferkelei" in die Annalen einging, nötigte ihn überdies, im Erscheinungsjahr von die verbesserung von mitteleuropa Österreich aufgrund eines drohenden Verfahrens wegen Gotteslästerung zu verlassen. Er liess sich in West-Berlin nieder, wo er als Gastronom bis 1986 das Szene-Lokal Exil führte, das angeblich auch David Bowie frequentiert haben soll.
In Berlin etablierte er sich - neben einem neu in Angriff genommenen Studium in Mathematik und Informatik - als Publizist, u.a. für den Verlag Matthes & Seitz, in dem er verschiedene Bücher herausgab oder benachwortete, z.B. Riten der Selbstauflösung (1982) oder Psychopathia criminalis von Oskar Panizza (1978). 1990 erschienen im selben Verlag unter dem Titel nicht schon wieder...! auch die Aufzeichnungen eines gewissen Zdenko Puterweck, herausgegeben von einem nicht minder ominösen Evo Präkogler, beides literarische Mystifikationen Oswald Wieners, was im Buch aber an keiner Stelle irgendwie angedeutet oder aufgelöst würde (einzig abgesehen von der Anspielung auf das "Wortgenie der Grazer Gruppe"). Der Zeit-Journalist Günter Nenning enthüllte die wahre Autorschaft jedoch in einem Zeitungsartikel und machte dem Versteckspiel vorzeitig ein Ende. Wiener plante eigentlich das Verwirrspiel mit einer Rezension des eigenen Buchs selbst zu lüften.
Der 'Roman', wenn man so sagen will, präsentiert sich zunächst als klassische Herausgeberfiktion, wie bereits der Untertitel mitteilt: "Eine auf einer Floppy gefundene Datei". Auf dieses etwas ausgereizte Genre eines Textes, der sich als manuscrit trouvé ausgibt, reagiert selbstironisch der Titel Nicht schon wieder! Allerdings lässt er sich auf die am Ende aufgeworfene Frage beziehen, ob sich dasselbe Programm stets von Neuem abspielt. Doch der Reihe nach, das heisst: von vorne. Zdenko Puterweck, eine renommierter Wiener Literat und Intellektueller, kommt an einem 26. Oktober wieder im Spital zu sich, nachdem er vier Tage zuvor bereits für tot erklärt wurde. Seine Zeit während der Reha vertreibt er sich mit Tagebuch-Aufzeichnungen, da sein Gedächtnis durch die Nahtoderfahrung den stark gelitten hat. Er bezeichnet sich als "Emmentalerhirn" und "Kopfkrüppel". Deshalb versucht er peinlichst alles zu notieren, damit er sich, wenn schon nicht daran erinnern, es doch extern festhalten kann: "Ich erinnere nur das einmal Geschrieben. Je geschriebener desto besser."
Allmählich dämmert es ihm, dass er in einen Politskandal verstrickt war, nachdem er regelmässig Besuch des Magistraten Prokil bekommt, der ihn nach dem Verbleib von "Altmaterial" befragt. Offenbar wurde von der Regierung radioaktives Material heimlich entsorgt und nur Puterweck kennt den Ort, weshalb nun alle Hoffnung darin liegt, dass sich sein Gedächtnis so rasch wie möglich erholt, zumindest was diese brisante Information betrifft. Doch Puterweck kommt nicht richtig auf die Sprünge. Er ist zu sehr damit beschäftig, sich über seine Situation Klarheit zu verschaffen. Dabei entwickelt er eine komplexe mathematisch-informationswissenschaftliche Theorie vom Unbewussten als "Komplikator" - ein Neologismus, das den Begriff des Computers mit dem französischen Wort für Falte (pli) verschränkt. Das Bewusstsein als komplexe Denkprozesse der Datenfaltungen. Hier deutet sich bereits an, worauf der Roman am Ende hinsteuert: Zdenko Puterweck - in dessen Name nicht zufällig auch ein Computer steckt - gelangt zur Überzeugung, dass er nicht mehr real existiere, sondern lediglich als Programm, das nach seinem Tod aufgesetzt wurde, um sein Gedächtnis zu hacken.
Wiener gelingt damit eine interessante Mischung zwischen Politthriller und Experimentalroman, der streckenweise erstaunlich spannend liest, auch wenn die Durchschnittsleserin den theoretischen Exkursen nicht in allen Details folgen kann. So viel wird aber deutlich: Es geht um die Frage nach künstlicher Intelligenz resp. nach dem Unterschied zwischen Mensch und Maschine. Puterweck durchlebt im Spital sein cartesianisches Moment mit der Frage, ob er ein selbstdenkendes Wesen sei oder ihm alle Gedanken und Wahrnehmung nur durch ein Programm eingegeben werden. Und mehr noch: Was passiert, wenn das Puterweck realisiert, dass er ein Programm ist? Wäre dann die Schwelle erreicht, an der sich sagen liesse, Computer können ein (Selbst-)Bewusstsein entwickeln, also dass er, wie der Name Zdenko suggeriert, tatsächlich denkt? Am Punkt der Selbsterkenntnis bricht der Text jedoch ab. Ob das Programm kollabiert ist oder ob ihm der Stecker gezogen wurde, weil es nicht den erhofften Aufschluss über das "Altmaterial" brachte, bleibt dahingestellt.
Als Leserin verfolgt man quasi diesen maschinellen Evolutionsprozess hin zur künstlichen Intelligenz. Einer der letzten Sätze lautet: "D. ganze Scheisse ist nichts als d. Evolution." Puterweck erhebt an einer Stelle im Text verschieden evolutionäre Hypothesen, eine davon lautet, das Bewusstsein sei bloss "eine Zwischenphase", die in einer komplexere Stufe münde, die rein "algorithmisch" funktioniere: "Mein Pech, unser Pech dass wir die Automaten aus der Zwischenphase sind." Auf diesen Themenkomplex deutet schon der Name des fingierten Herausgebers mit der merkwürdig maskulinen Variante von Eva (Evo) hin, der ursprünglich sogar noch deutlicher Evo Lutz Präkogler lauten sollte. Biblische Ursprungsgeschichte (Eva), biologische Theorie (Evolution) und Futurismus (Präkognition) klingen hier hörbar zusammen an. Wer zudem die "Precogs" aus Philip K. Dicks Minory Report heraushört, liegt ebenfalls nicht falsch, zumal der Autor von Puterweck mehrfach in seiner Datei erwähnt und zitiert wird, insbesondere seine Biographie Only Apparantly Real, deren Titel gleichsam symbolische Bedeutung zukommt.
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