Dienstag, 12. Mai 2020

Franz Kafka: Blumfeld ein älterer Junggeselle... (1915)


Wie in Die Verwandlung so tritt auch in dieser fragmentarisch gebliebenen Erzählung Franz Kafkas ein ungewöhnliches, surreales Ereignis in den Alltag ein, das der Protagonist aber mühelos zu akzeptieren scheint. Und dies, obwohl es einmal in der Erzählung heißt, dass Blumfeld «kein Phantast» sei. Blumfeld, so der Name des pedantischen, sauberkeitsliebenden und vereinsamten Beamten in einer Wäschefabrik, entdeckt eines Abends beim Nachhausekommen zwei «komische Bälle» in seiner Wohnung, die alternierend permanent auf und ab hüpfen und nicht von Blumfeld weichen. Stets halten sie sich im Rücken des Junggesellen auf, wie er sich auch dreht und wendet, er kann ihnen nicht entkommen, als handle es sich etwa um seine «Lebensbegleiter».

Ähnlich wie die Verwandlung Gregor Samsas in einen Käfer so sind auch diese Bälle als psychisch ausgelagerten Seins- resp. Bewusstseinszustand aufzufassen. Die Bälle treten just in dem Moment in Blumfelds Leben, als er sich zu wiederholten Malen seiner Einsamkeit bewusst wird und sich überlegt einen Hund anzuschaffen. Tatsächlich fühlt es sich für Blumfeld an, «als hätte er einen kleinen Hund», als die Bälle beim Schlafengehen auf den Teppich unter seinem Bett rollen. Andererseits erinnern sie ihn auch an «Kinder» und stehen damit in Bezug, zu den beiden unnützen Praktikanten, die Blumfeld bei der Arbeit zur Seite gestellt werden und sich wie «Kinder» verhalten.

In den Bällen als treue Begleiter manifestiert sich sowohl der Wunsch nach Gesellschaft wie sie auch ein Stresssymptom darstellen, ausgelöst durch den unmäßigen Betreuungsaufwand, den Blumfeld seine beiden Praktikanten bereiten. Jedenfalls ist es ihm unangenehm, mit den Bällen gesehen zu werden, er schämt sich für ihre Anhänglichkeit und versucht sie loszuwerden, indem er sie in einen Schrank sperrt und dem zurückgebliebenen Nachbarjungen die Schlüssel übergibt, um die Bälle zu holen, während er zur Arbeit geht. Ob dieses Manöver gelingt, bleibt ebenso so offen, wie was es genau mit den Bällen auf sich hat.

Indem Blumfeld die Existenz der Bälle schlichtweg akzeptiert anstatt sie zu hinterfragen, gelangt er nicht zu einer tieferen Selbsterkenntnis. Die Bälle bleiben Symptom, ohne Diagnose. Nur einmal kurz fühlt sich Blumfeld durch den «leeren Blick» des Nachbarjungen dazu verleitet, sich preiszugeben: «Ein solcher leerer Blick macht einen wehrlos. Er könnte einen dazu verführen, mehr zu sagen, als man will, nur damit man diese Leere mit Verstand fülle.» In gewisser Hinsicht steht diese Leere auch für die Leere in Blumfelds Leben, das allerdings weniger mit Verstand, sondern mit Unverstand in Gestalt sinnloser Bälle gefüllt wird, die ihm zuerst «Spass» bereiten, ihn aber zusehends auch ärgern und lästig werden.

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