Sonntag, 15. Juni 2025

Philip K. Dick: We can build you (1972)

Okay, das ist wahrscheinlich nicht die beste Geschichte von Philip K. Dick. An seine Klassiker wie Do Androids Dream of Electric Sheep (1968), Ubik (1969) oder die Erzählung Minority Report (1956) reicht sie jedenfalls nicht heran. Obwohl erst 1972 erschienen, entstand der Roman ein ganzes Jahrzehnt früher im Jahr 1962, blieb aber unpubliziert liegen, bis er in den Ausgaben vom November 1969 und Januar 1970 von Amazing Stories unter dem Titel A. Linclon, Simulacrum veröffentlicht werden konnte und dann zwei Jahre später unter neuem Titel We can build you in Buchform nochmals auf den Markt kam. Auch die deutschen Übersetzungen weisen unterschiedliche Titel auf: Relativ zeitnah erschien der Roman 1977 als Die rebellischen Roboter in der SF-Reihe bei Goldmann, 2007 eine Neuübersetzung unter Die Lincoln-Maschine bei Heyne. Keiner wird der Erzählung richtig gerecht - und da liegt vielleicht auch das Problem: Geweckt wird eine falsche Erwartungshaltung.

Insbesondere der Paratext der deutschen Erstübersetzung Die rebellischen Roboter suggeriert, dass der Roman von künstlich programmierten Nachbildungen historischer Persönlichkeiten handle, die ausser Kontrolle geraten. Das stimmt erstens nicht ganz und führt ausserdem am Kern der Erzählung vorbei. Wenn in diesem Roman jemand out of control gerät, dann sind es die Menschen und nicht die Roboter, die sich keineswegs rebellisch verhalten, sondern sich erstaunlich hilfsbereit und konziliant in die neue Sozietät einfinden. Aber auch das steht nicht wirklich im Zentrum des leicht in die Zukunft versetzten Romans (die Handlung spielt sich 1982 ab). Dreh- und Angelpunkt der gesamten Geschichte, die etwas unentschlossen zwischen Psychodrama und SF-Utopie changiert, ist das gestörte Verhältnis des erzählenden Ich, Louis Rosen, zur hochattraktiven, aber leider auch schizophrenen Tochter Pris seines Geschäftspartners Maury Rock, die eine Idee entwickelt, wie sie den stagnierenden Betrieb der beiden wieder ankurbeln will.

Aus der Klinik entlassen, konstruiert Pris mithilfe eines NASA-Technikers sogenannte Simulacra: Das sind Replikate des ehemaligen Präsidenten Abraham Lincoln und seines Kriegsministers Edwin Stanton, um - so die Idee - den "Bürgerkrieg noch einmal mit Robotern" zu führen (30). Was wie der Ausgangspunkt einer Satire mit historischen Klons klingt, führt in eine gänzlich andere Richtung, was aber einige Verleger partout nicht einsehen wollten und deshalb irreführende Signale setzen. Am Absurdesten ist wohl das Konterfei von Hitler auf dem Cover der Ausgabe bei Seven House von 1988, das mit dem Inhalt nicht das Geringste zu tun hat, denn an keiner Stelle kommt jemand nur auf die Idee, Hitler zu replizieren. Das wäre eine gänzliche andere Geschichte geworden. Die Simulacren spielen eher Nebenrollen, auch wenn sie sich mitunter aktiv in das Geschehen einmischen, das sich jedoch vornehmlich um die Psychose des Ich-Erzählers dreht, der in Pris verliebt ist, obwohl sie sich so kühl, distanziert und abweisend wie ein Automat verhält.

Damit kann sich Louis abfinden, zumal er die fehlende Empathie ihrer schizophrenen Erkrankung in die Schuhe schiebt. Die Dinge laufen jedoch aus dem Ruder, als Pris ihre Erfindung an den von ihr vergötterten Top-Investor Sam Barrows verkaufen will. Dieser beabsichtigt die Simulacren für seine Mondkolonisierung einzusetzen und zeigt sich daher nicht nur am Angebot, sondern auch an Pris selbst interessiert, die er zur Geliebten nimmt. In Rage vor Eifersucht fliegt Louis nach Seattle mit dem festen Vorsatz, Barrows umzulegen. Er steigert sich sukzessive in eine "katatonische Erregung" (143), ohne sein Ziel zu erreichen, weshalb er das Lincoln-Simulacrum als Berater einfliegen lässt, zu dem er aufgrund seiner psychischen Labilität eine besondere (menschliche) Nähe empfindet: "Lincoln war genau wie ich. Ich hätte dort in der Bücherei meine eigene Biographie lesen können; psychologisch waren wir uns so ähnlich wie Zwillinge, und wenn ich ihn begriff, verstand ich mich selbst." (116)

Doch Barrows hat einen Trumpf im Ärmel: Er hat unterdessen ein Simulacrum des amerikanischen Schauspielers und Lincoln-Attentäters John Wilkes Booth erstellt. Mit ihm tritt er als Drohmittel an den Verhandlungstisch. Die Auseinandersetzung erreicht ihren Gipfelpunkt, als Pris mit ihrem High-Heel das Booth-Simulacrum durch eine gezielten Schlag durch die Schädeldecke in aller Öffentlichkeit zerstört, so dass es rundum als Roboter erkennbar wird. Nach dieser Maschinenstürmerei spielen die Simulacren keine Rolle mehr. Der letzte Teil des Romans schildert, wie Louis Rosen selbst in eine handfeste Psychose schlittert, indem er eine Vereinigung mit Pris halluziniert, und schliesslich von seiner Familie in dieselbe psychiatrische Anstalt eingeliefert wird, in der auch Pris (wieder) interniert ist. Die Erzählung lässt es offen, ob Rosen sich alles nur einbildet oder ob er seine Geisteskrankheit lediglich vortäuscht, um seiner Liebe nahe zu sein. Jedenfalls wird er mit der Vermutung des Arztes entlassen, er sei bloss ein Simulant.

Simulant, Simulation, Simulacrum - die Wortverwandtschaft zeigt es bereits an, dass Dick in diesem Roman auf einer doppelten Klaviatur spielt und das Science-Fiction-Versatzstück des Roboters vornehmlich als existentielle Metapher einsetzt, an die sich philosophische Fragen knüpfen: Was macht den Menschen aus? Wie unterscheidet er sich von Maschinen? Wie menschlich können wiederum Maschinen sein? Das sind allesamt Fragen, die im Roman en passant aufgeworfen und dabei Blaise Pascal (Der Mensch ist "ein denkendes Rohr", 15) und Shakespeare (Der Mensch ist "ein gespaltener Rettich", 73) anzitiert werden. Besonders witzig ist die Szene, als das Lincoln-Simulacrum Barrows davon überzeugen will, dass auch der Mensch nicht anderes als eine Maschine sei und dabei auf Spinoza bezieht, der im Anschluss an Descartes diese Problematik aufgeworfen hat (74). In diesem Zusammenhang wird auch das Leib-Seele-Problem virulent: Besitzen Maschinen "keine Seele" (74) oder handelt es sich vielmehr um reine, körperlose Seelen (83), die sich in wechselnde Organismen einprogrammieren lassen. Schliesslich kommt auch das das Verhältnis zwischen Schöpfer und seinem Geschöpf zur Sprache, wobei diese vom Frankenstein-Stoff (68) auf die Sklaverei (73) und moderne Arbeitsverhältnisse übertragen wird. Haben Maschinen dieselben Rechte wie Menschen? 

Das Simulacrum gerät unter diesem Fragehorizont - ganz im Sinne von, doch deutlich vor Baudrillards Theorie - zur Chiffre für die conditio humana im postmodernen Zeitalter, das Dick zugleich als stark psychotisches beschreibt. Der Roman spielt in einer Welt, wo der Staat praktisch die gesamte Gesellschaft pathologisiert. Es gibt eine eigene Behörde für Geistige Gesundheit, die durch läppische Testverfahren psychische Dysfunktionen eruiert, und ein McHeston-Gesetz, das Zwangseinweisungen legitimiert. Der Schizophrene mit seinen Wahnvorstellungen ist letztlich auch permanent mit Simulacra (wörtlich: Trugbildern) konfrontiert und verhält sich ähnlich mechanisch wie eine Maschine. In dieser Parallelisierung zwischen künstlicher und pathologischer Existenzweise liegt die Pointe des Romans sowie des doppelsinnigen Originaltitels We can build you, der sich sowohl auf die Roboterkonstruktion als auch auf die Therapiesituation beziehen kann. Ähnlich wie die Simulacren werden auch die Patienten in den psychiatrischen Kliniken auf soziale Funktionsfähigkeit programmiert. 

Philip K. Dick: Die rebellischen Roboter. Science-Fiction-Roman. Ins Deutsche übertragen von Tony Westermayr [Orig. We Can Build You, 1972]. München: Wilhelm Goldmann Verlag [1977].

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