G.K. Chesterton war weitaus mehr als nur der Erfinder des behäbigen Ermittlerpriesters Pater Brown. Neben diesen berühmten Kriminalgeschichten verfasste er eine Fülle von weiteren Erzählungen, scharfsinnige und witzige Essay so wie eine Handvoll Romane, von denen The man who was Thursday (1908) am einflussreichsten war. Es ist eine Mischung aus Thriller und Nonsens, welche die Grenzen zwischen Traum und Realität verwischt, und gilt deshalb als Vorläufer von alptraumhaften Visionen eines Kafka oder Borges. Im Untertitel wird der Roman auch als «A Nightmare» bezeichnet – in der deutschen Übersetzung als «eine Nachtmahr». Am Ende entpuppt sich tatsächlich alles als verrückter Traum, wobei es unklar ist, wann genau die Erzählung die Realitätsebene verlässt und in eine zusehends irrwitzige Phantasmagorie schlittert. Es gehört jedoch zur Raffinesse des Erzählers, dass die Ereignisse, so absurd sie auch anmuten, nie unglaubwürdig wirken.
Doch worum geht es: Im Zentrum steht der Dichter Gabriel Syme, der von einer Spezialeinheit der Polizei angeheuert wird, um sich in Anarchistenkreise einzuschleusen, was ihm auch gelingt. Unter dem Decknamen «Donnerstag» dringt er in den inneren Zirkel um den hünenhaften, ominösen «Sonntag» vor, der in ganz England Sprengstoffattentate mit Dynamit plant, die es zu vereiteln gilt. In ständiger Angst aufzufliegen, fühlt sich Syme von Anarchisten aus der Gruppe observiert. Es kommt zu Duellen und rasanten Verfolgungsjagden zu Fuss im Auto und im Ballon, die aber alle in der Pointe münden, dass jeder der vermeintlichen Anarchisten sich in Tat und Wahrheit als verdeckter Ermittler erweist. So stellt sich schliesslich die ganze Anarchistenbande als maskierte Gesetzeshüter heraus, die von der Person namens «Sonntag» rekrutiert worden war. Der Roman mündet schliesslich in einer allegorischen Szene, wo alle Polizisten als Personifikationen der Wochentage figurieren und sich zu einem Show-down versammeln – bis dann die Traumblase zerplatzt und der Protagonist Syme wieder erwacht.
Die faszinierendste Figur des Romans ist jedoch der
rätselhafte Sonntag, der als eine Art Übermensch oder Gott geschildert wird:
ein Riese, ein halbes Tier, der mit der mythologischen Gestalt des Pan
verglichen wird und den Syme an die «kolossale Memnonmaske» im British Museum
erinnert. Sonntag ist eine dämonisch-archaische Urgestalt, auch eine
karnevaleske Figur im Sinne Bachtins, wenn er etwa seinen Verfolgern seine «unmessbare,
unübersehbare Hinteransicht» präsentiert und sie mit Nonsens-Botschaften
traktiert. Er ist eine irrationale Kraft, welche das Verständnis der Menschen
übersteigt; er ist der Gott, der mit den Menschen spielt und darüber lacht. Kurz
vor dem Aufwachen stellt er Syme die Frage: «Vermagst Du aus dem Kelch zu
trinken, aus dem ich trinke?» Gemeint damit ist der ‘bittere Kelch’, der «Becher
des Zorns», aus der Bibel als Symbol für ein schweres Schicksal, das es zu ertragen
gilt. Der Mensch, so die Pointe von Chestertons «Nachtmahr», muss die
Absurdität seines Daseins ertragen, auf die nicht einmal ein Gott eine Antwort
weiss. Der Roman gibt sich so als eine umgekehrte Theodizee zu erkennen.
Chesterton soll einmal gesagt haben: Die Welt sei «die beste aller unmöglichen
Welten».
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